Das Kind des Fernsehmoderators
Wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eines Kindes durch Bekanntgabe des zwischen ihm und einem bekannten Fernsehmoderator bestehenden Kindschaftsverhältnisses verletzt? Mit dieser Frage hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen – und eine Verletzung verneint:
Der Bundesgerichtshof bestätigt zunächst, dass die Tochter durch die Bekanntgabe ihres Vornamens, ihres Alters und des zwischen ihr und dem Fernsehmoderator bestehenden Kindschaftsverhältnisses in ihrem in Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird. Betroffenes Schutzgut ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das über den Schutz der Privatsphäre des Einzelnen hinausgeht und ihm die Befugnis gibt, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Es umfasst die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, ob, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden1. Allerdings gewährt es dem Einzelnen kein unbeschränktes dingliches Herrschaftsrecht über bestimmte Informationen, sondern findet seine Grenze in den Rechten Dritter – beispielsweise auf Meinungs- und Medienfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK2.
Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Tochter ist aber nicht rechtswidrig. Das Interesse der Tochter am Schutz ihrer Persönlichkeit überwiegt das von der Zeitschriftenverlegerin verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit nicht.
Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt3.
Im Streitfall ist das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Interesse der Tochter am Schutz ihrer Persönlichkeit mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK verankerten Recht der Zeitschriftenverlegerin auf Meinungs- und Medienfreiheit abzuwägen. Dabei war zu Gunsten der Tochter in die Abwägung einzustellen, dass sie im Zeitpunkt der Veröffentlichung erst 12 Jahre alt war. Kinder bedürfen eines besonderen Schutzes, weil sie sich erst zu eigenverantwortlichen Personen entwickeln müssen. Ihre Persönlichkeitsentfaltung kann durch die Berichterstattung empfindlicher gestört werden als die von Erwachsenen. Dabei kann eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts eines Kindes nicht nur dann vorliegen, wenn das Kind die persönlichkeitserheblichen Einwirkungen Dritter bemerkt. Eine Beeinträchtigung ist vielmehr schon dann gegeben, wenn Dritte persönlichkeitsbezogene Informationen verbreiten und dies dazu führen kann, dass dem Kind in Zukunft nicht unbefangen begegnet wird oder es sich speziellen Verhaltenserwartungen ausgesetzt sieht4.
Zu Gunsten der Zeitschriftenverlegerin fällt dagegen ausschlaggebend ins Gewicht, dass die in der angegriffenen Berichterstattung mitgeteilten Informationen über die Tochter bereits vor der Veröffentlichung einer breiten Öffentlichkeit bekannt waren und die Sicht auf die Tochter prägten. Nach den getroffenen Feststellungen waren in den Jahren 2000, 2001 und 2006 bis 2009 jedenfalls elf Presseberichte in unterschiedlichen – jeweils auflagenstarken und breite Bevölkerungsschichten erreichenden – Medien erschienen, in denen im Zusammenhang mit einer Berichterstattung über den prominenten Vater der Tochter ihr Vorname, Alter und das zwischen ihr und dem Fernsehmoderator bestehende Kindschaftsverhältnis mitgeteilt wurden.
Der Name der Tochter, ihr Alter und das zwischen ihr und dem Fernsehmoderator bestehende Kindschaftsverhältnis waren damit bereits vor der Veröffentlichung einer großen Zahl von Personen bekannt geworden, die sie ihrerseits weitergeben konnten. Die Tochter hatte ihre Anonymität vor der angegriffenen Berichterstattung verloren; angesichts der Kürze der zwischen den letzten Vorveröffentlichungen und der angegriffenen Berichterstattung liegenden Zeit hatte sie ihre Anonymität noch nicht wieder erlangt. Die angegriffene Berichterstattung fügte dem nichts Neues hinzu und hatte damit keinen eigenständigen Verletzungsgehalt5.
Die Veröffentlichung der bereits bekannten Informationen ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht bestehe und Veröffentlichungen über die persönlichen Verhältnisse des Vaters der Tochter erfolgen könnten, ohne dass der Vorname und das Alter der Tochter mitgeteilt würden. Zwar wertet die Veröffentlichung der persönlichen Daten der Tochter den Artikel über den Auftritt des Fernsehmoderators beim Campus-Talk an der Goethe-Universität nur in seinem Unterhaltungswert auf und macht ihn anschaulicher. Es gehört aber zum Kern der Meinungs- und Medienfreiheit, dass die Medien im Grundsatz nach ihren eigenen publizistischen Kriterien entscheiden können, was sie des öffentlichen Interesses wert halten und was nicht. Dabei können auch unterhaltende Beiträge, etwa über prominente Personen oder über ihren sozialen Kontext, am Schutz der Meinungsfreiheit teilnehmen6. Denn die Meinungsfreiheit ist nicht nur unter dem Vorbehalt des öffentlichen Interesses geschützt, sondern garantiert primär die Selbstbestimmung des einzelnen Grundrechtsträgers über die Entfaltung seiner Persönlichkeit in der Kommunikation mit anderen. Bereits hieraus bezieht das Grundrecht sein in eine Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht einzustellendes Gewicht, das durch ein mögliches öffentliches Informationsinteresse lediglich weiter erhöht werden kann7.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 29. April 2014 – VI ZR 137/13
- vgl. BGH, Urteile vom 05.11.2013 – VI ZR 304/12, AfP 2014, 58, zur Veröffentlichung in BGHZ 198, 346 bestimmt; vom 13.06.2009 – VI ZR 196/08, BGHZ 181, 328 Rn. 28; vom 23.11.1990 – VI ZR 104/90, AfP 1991, 416, 417; BVerfGE 65, 1, 43[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 05.11.2013 – VI ZR 304/12, AfP 2014, 58 Rn. 13; BVerfGE 84, 192, 195; BVerfG, WM 2013, 1772, 1773 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 17.12 2013 – VI ZR 211/12, AfP 2014, 135 Rn. 22; vom 05.11.2013 – VI ZR 304/12, AfP 2014, 58 Rn. 13; vom 13.11.1990 – VI ZR 104/90, AfP 1991, 416, 417[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 05.11.2013 – VI ZR 304/12, AfP 2014, 58 Rn. 17 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 29.06.1999 – VI ZR 264/98, VersR 1999, 1250, 1252; BVerfG, AfP 2010, 365 Rn. 33; EGMR, NJW 1999, 1315, 1318[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 22.11.2011 – VI ZR 26/11, AfP 2012, 53 Rn.19; vom 10.03.2009 – VI ZR 261/07, BGHZ 180, 114 Rn. 11; vom 28.10.2008 – VI ZR 307/07, BGHZ 178, 213 Rn. 13; vom 14.10.2008 – VI ZR 256/06, AfP 2008, 606 Rn. 13[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 25.10.2011 – VI ZR 332/09, AfP 2012, 47 Rn. 27; BVerfG, AfP 2010, 145 Rn. 28; AfP 2010, 365 Rn. 29[↩]