Der Streit um die künstlerische Tätigkeit – und das nicht eingeholte Sachverständigengutachten
Kann ein Beschwerdeführer vor der mündlichen Verhandlung erkennen, dass das Finanzgericht zu der Frage, ob seine Tätigkeit eine künstlerische Gestaltungshöhe erreicht, nicht von Amts wegen ein Sachverständigengutachten einholen wird, muss er in der mündlichen Verhandlung selbst einen entsprechenden Beweisantrag stellen oder das Vorgehen des Finanzgericht als verfahrensfehlerhaft rügen. Unterlässt er dies, ist der Beschwerdeführer zur Rüge eines etwaigen Verstoßes des Finanzgericht gegen die Sachaufklärungspflicht im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht berechtigt.
Dieser mögliche Verfahrensfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO kann gemäß § 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO im Beschwerdeverfahren nicht mehr gerügt werden; das weitere Vorbringen erfüllt nicht die Voraussetzungen eines Zulassungsgrundes gemäß § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO:
war kann ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO und damit ein Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vorliegen, wenn das Finanzgericht bei der Prüfung einer künstlerischen Tätigkeit i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens verzichtet, sofern ihm die erforderliche eigene Sachkunde fehlt1. Die anwaltlich vertretene Künstlerin, welche weder in der mündlichen Verhandlung einen eigenen Antrag auf Begutachtung ihrer Tätigkeit durch einen Sachverständigen gestellt noch die Nichteinholung eines solchen Gutachtens durch das Finanzgericht gerügt hat, kann einen hieraus resultierenden etwaigen Verfahrensmangel im Rahmen der Beschwerde jedoch nicht mehr rügen.
Eine künstlerische Tätigkeit übt ein Steuerpflichtiger nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -neben weiteren Voraussetzungen- nur dann aus, wenn er eine schöpferische Leistung mit einer gewissen Gestaltungshöhe vollbringt, d.h. eine Leistung, in der seine individuelle Anschauungsweise und seine besondere Gestaltungskraft zum Ausdruck kommen2. Hiervon abzugrenzen ist eine Betätigung, deren Arbeitsergebnisse keinen Gebrauchszweck haben (zweckfreie Kunst). Bei dieser kann auf die Feststellung der ausreichenden künstlerischen Gestaltungshöhe verzichtet werden, wenn den Werken nach der allgemeinen Verkehrsauffassung das Prädikat des Künstlerischen nicht abgesprochen werden kann und die Arbeiten ausschließlich auf das Hervorbringen einer ästhetischen Wirkung gerichtet sind3. Die Entscheidung über das Vorliegen einer künstlerischen Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG erfordert nach ständiger Rechtsprechung des BFH insbesondere im Bereich der Grenz- und Übergangsfälle besondere Sachkunde. Das Gericht muss sich diese verschaffen, sofern es sie nicht in dem konkret erforderlichen Maße selbst besitzt; dazu kann insbesondere die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich sein. Holt das Gericht in Grenz- und Übergangsfällen kein Sachverständigengutachten ein, muss dies für die Verfahrensbeteiligten erkennbar sein; die besondere Sachkunde des Gerichts muss dann in den Urteilsgründen nachprüfbar dargelegt werden4.
Auf dieser Grundlage hat das im vorliegenden Streitfall erstinstanzlich tätige Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt5 die Einholung eines Sachverständigengutachtens geprüft und abgelehnt, weil die Künstlerin den Umfang der künstlerischen Tätigkeit nicht anhand geeigneter Beweismittel dargelegt habe. Dem ist zwar darin zuzustimmen, dass sich die Frage, ob die eigene Sachkunde des Finanzgericht ausreicht oder die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich ist, erst stellt, wenn begutachtungsfähige Arbeitsergebnisse vorgelegt werden6, jedoch ist ein Gutachten anderseits schon dann einzuholen, wenn nur für einen Teilabschnitt des Klagezeitraums eine künstlerische Tätigkeit in einer Weise dargelegt wird, die die Begutachtung durch einen Sachverständigen ermöglicht7. Der Bundesfinanzhof lässt danach offen, ob er sich der Würdigung des Finanzgericht anzuschließen vermag, der klägerische Vortrag sei überhaupt nicht zur Darlegung eines begutachtungsfähigen Sachverhalts geeignet gewesen.
Jedenfalls kann die rechtskundig vertretene Künstlerin einen etwaigen Verstoß des Finanzgericht gegen die Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO gemäß § 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO nicht mehr rügen8. Weder hat sie selbst einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens schriftsätzlich vor oder während der mündlichen Verhandlung gestellt noch anderweitig zum Ausdruck gebracht, die Nichteinholung eines Gutachtens durch das Finanzgericht sei verfahrensfehlerhaft.
Das Finanzgericht hatte bis zur mündlichen Verhandlung kein Sachverständigengutachten eingeholt, wie für die Prozessbevollmächtigten der Künstlerin ohne weiteres erkennbar war. In der mündlichen Verhandlung wurde -wie sich sowohl aus dem angefochtenen Urteil als auch aus der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung ergibt- über die künstlerische Tätigkeit der Künstlerin im Streitjahr gesprochen. Zudem war der Künstlerin aufgrund des Erörterungstermins bekannt, dass das Finanzgericht die künstlerische Gestaltungshöhe der Tätigkeit für aufklärungsbedürftig, aber -wie aus der Verfügung des Finanzgericht vom 03.09.2019 ersichtlich war- aufgrund der genauen Eingrenzung der Tätigkeit im Streitjahr und anhand des vorgelegten Bildmaterials als nicht möglich erachtete. Daraus konnte die Künstlerin schon vor der mündlichen Verhandlung erkennen, dass sich die Einholung eines Gutachtens auf der Grundlage des vorhandenen Prozessstoffs für das Finanzgericht auch nicht aufdrängte. Anhaltspunkte dafür, dass das Finanzgericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens während der mündlichen Verhandlung in Aussicht gestellt hätte und die Künstlerin hierauf vertrauen durfte, ergeben sich aus dem Vortrag der Künstlerin und der Niederschrift ebenfalls nicht. Ein ausdrücklicher Hinweis während der mündlichen Verhandlung darauf, dass das Finanzgericht kein Gutachten einholen werde, war nach den geschilderten Umständen des Streitfalls ebenfalls nicht erforderlich. Wenn die Künstlerin gleichwohl der Auffassung war, dass es der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedurfte, hätte sie die Unterlassung rügen müssen, denn die Sachaufklärungsrüge dient nicht dazu, Beweisanträge zu ersetzen, welche die fachkundig vertretene Partei selbst in zumutbarer Weise hätte stellen können, aber zu stellen unterlassen hat. Das ist nicht geschehen.
Soweit die Künstlerin rügt, das Finanzgericht habe für die Einordnung der Tätigkeit der Künstlerin die Arbeiten als Drehbuchautorin, Fotografin, Layouterin, Unterhalterin, Webdesignerin und Administratorin zu Unrecht als Nebentätigkeiten abgegrenzt und nicht als prägende Bestandteile einer insgesamt künstlerischen Tätigkeit der Künstlerin behandelt, rügt die Künstlerin keinen Verfahrensfehler. Sie greift insoweit die rechtliche Würdigung des Finanzgericht an. Dabei handelt es sich nicht um einen Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11. Februar 2021 – VIII B 30/20
- BFH, Beschluss vom 18.07.2007 – VIII B 204/06, BFH/NV 2007, 2264, unter 2.a[↩]
- BFH, Urteile vom 23.09.1998 – XI R 71/97, BFH/NV 1999, 460; vom 04.11.2004 – IV R 63/02, BFHE 209, 116, BStBl II 2005, 362; ebenso das vom Finanzgericht zitierte BFH, Urteil vom 15.10.1998 – IV R 1/97, BFH/NV 1999, 465, zum Einsatz von Schauspielern im Rahmen der Werbung; BFH, Urteil vom 16.09.2014 – VIII R 5/12, BFHE 247, 214, BStBl II 2015, 217[↩]
- BFH, Beschluss vom 14.08.1980 – IV R 9/77, BFHE 131, 365, BStBl II 1981, 21; Schmidt/Wacker, EStG, 39. Aufl., § 18 Rz 66[↩]
- vgl. u.a. BFH, Beschluss vom 01.06.2006 – IV B 200/04, BFHE 214, 168, BStBl II 2006, 709, unter II. 3.b; BFH, Urteil vom 14.12.1976 – VIII R 76/75, BFHE 121, 410, BStBl II 1977, 474[↩]
- FG LSA, Urteil vom 16.01.2020 – 2 K 859/16[↩]
- BFH, Beschluss vom 28.06.2006 – XI R 78/03, BFH/NV 2006, 2062 [Rz 2][↩]
- BFH, Beschluss vom 28.09.2006 – IV B 18/05, BFH/NV 2007, 89[↩]
- s. zur Anwendung dieser Grundsätze im vorliegenden Kontext BFH, Beschluss in BFHE 214, 168, BStBl II 2006, 709, unter II. 3.a[↩]