Die eMails im entwendeten Notebook – und ihre journalistische Verwertung

Auch rechtswidrig beschaffter E-Mails können zum Zwecke der Presseberichterstattung verwertet werden.

Der Kläger des jetzt vom Bundesgerichtshof entschiedenen Rechtsstreits war von 1994 bis 1999 Staatssekretär im Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung des Landes Brandenburg. 1999 wurde er Chef der Potsdamer Staatskanzlei. Von Oktober 2004 bis November 2009 war er Finanzminister des Landes Brandenburg. Nach der Landtagswahl 2009, bei der auch in den brandenburgischen Landtag gewählt wurde, wurde er im November 2009 zum Innenminister ernannt. Mitte der 90er Jahre unterhielt er zu einer Mitarbeiterin eine außereheliche Beziehung, aus der im Jahre 1997 die gemeinsame Tochter E. hervorging. Auf Antrag der Kindesmutter erhielt E. bis Oktober 2003 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.

Im Jahre 2009 kam der private Laptop des Klägers abhanden. Die darauf befindliche E-Mail-Korrespondenz zwischen ihm und der Kindesmutter wurde einer Boulevardzeitung zugespielt. Am 31. August 2010 führten drei Redakteure dieser Zeitung ein Interview mit dem Kläger. Sie hielten ihm vor, dass sich aus an ihn gerichteten eMails der Kindesmutter ergebe, dass er der Vater von E. sei und für sie keinen regelmäßigen Unterhalt gezahlt habe. Es bestehe der Verdacht des Sozialbetrugs.

Der Kläger erwirkte daraufhin eine einstweilige Verfügung, durch die der Zeitung untersagt wurde, vier eMails wörtlich oder sinngemäß publizistisch zu nutzen. Am 20. September 2010 veröffentlichte das für den Internetauftritt der Zeitung zuständige Unternehmen unter voller Namensnennung des Klägers auf ihrem Internetauftritt einen Beitrag, der sich mit der Beziehung des Klägers mit der Kindesmutter, der Geburt der Tochter sowie der möglichen Erschleichung von Sozialleistungen befasst. In der Zeit zwischen dem 21. und dem 25. September 2010 erschienen in den Printmedien des Zeitungsverlages sowie in dem Internetportal ähnliche Berichte über den Vorgang. Am 23. September 2010 trat der Kläger von seinem Ministeramt zurück. Er gab in einem Zeitungsinterview bekannt, dass er der Vater von E. sei und die Unterhaltszahlungen für sie nachgeholt habe.

Der Kläger hält die Verwertung der privaten eMails zum Zwecke der Berichterstattung für rechtswidrig. Das erstinstanzlich mit dem Rechtsstreit befasste Landgericht Berlin hat angenommen, dass der Kläger bis zu seinem Rücktritt einen Anspruch gegen den Zeitungsverlag gehabt habe, es zu unterlassen, die Fragen, ob er der Vater von E. ist, private oder intime Kontakte zur Kindesmutter hatte, Unterhaltsleistungen für E. erbracht hat und ob die Kindesmutter zu Unrecht Unterhaltsvorschuss für E. in Anspruch genommen hat, öffentlich zu erörtern1. Das Landgericht Berlin hat die Beklagten darüber hinaus verurteilt, es zu unterlassen, den Inhalt einzelner eMails in direkter oder indirekter Rede zu verbreiten. Die gegen dieses Urteil gerichteten Berufungen hatten vor dem Berliner Kammergericht keinen Erfolg2.

Der Bundesgerichtshof widersprach nun diesen Wertungen der Berliner Justiz, hob die Urteile der Berliner Vorinstanzen auf und wies die Klagen des Ex-Ministers ab:

Zwar greift eine Berichterstattung, die sich auf den Inhalt der zwischen dem Kläger und seiner Geliebten gewechselten E-Mails stützt, in die Vertraulichkeitssphäre des Klägers und sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Beide genannten Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts schützen das Interesse des Kommunikationsteilnehmers daran, dass der Inhalt privater E-Mails nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Der Eingriff ist aber nicht rechtswidrig. Das von den Beklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungsfreiheit überwiegen das Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die veröffentlichten Informationen von einem Dritten in rechtswidriger Weise beschafft worden sind. Nach den getroffenen Feststellungen haben sich die Beklagten die E-Mails nicht durch vorsätzlichen Rechtsbruch verschafft, um sie zu publizieren. Sie haben sich an dem Einbruch in die Vertraulichkeitssphäre des Klägers auch nicht beteiligt, sondern aus dem Bruch der Vertraulichkeit lediglich Nutzen gezogen. Die Informationen, deren Wahrheit der Kläger nicht in Frage stellt, haben einen hohen „Öffentlichkeitswert“. Sie offenbaren einen Missstand von erheblichem Gewicht, an dessen Aufdeckung ein überragendes öffentliches Interesse besteht. Als Minister und als Landtagsabgeordneter gehörte der Kläger zu den Personen des politischen Lebens, an deren Verhalten unter dem Gesichtspunkt demokratischer Transparenz und Kontrolle ein gesteigertes Informationsinteresse besteht. Die der Beklagten zu 1 zugespielten E-Mails belegen, dass sich der Kläger über viele Jahre der wirtschaftlichen Verantwortung für seine Tochter E. entzogen und diese auf den Steuerzahler abgewälzt hat. Er hat es im eigenen persönlichen, wirtschaftlichen und politischen Interesse hingenommen, dass seine ehemalige Geliebte für die gemeinsame Tochter Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz bezog, obwohl die Voraussetzungen für einen Leistungsbezug nicht gegeben waren. Denn die Kindesmutter hatte der zuständigen Behörde den Kläger pflichtwidrig nicht als Vater von E. benannt.

Der Bundesgerichtshof hat auch die Veröffentlichung verschiedener E-Mails in direkter oder indirekter Rede als zulässig angesehen. Die im Wortlaut veröffentlichten E-Mails dokumentieren mit besonderer Klarheit, wie der Kläger mit der Verantwortung gegenüber seiner nichtehelichen Tochter und der Mutter seines Kindes – und damit mittelbar gegenüber der Allgemeinheit, die jedenfalls bis zur Veröffentlichung der streitgegenständlichen Informationen die daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgen tragen musste – umgegangen ist.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 30. September 2014 – VI ZR 490/12

  1. LG Berlin, Urteil vom 28.06.2011 – 27 O 719/10[]
  2. KG, Urteil vom 05.11.2012 – 10 U 118/11[]