Komponisten und Textdichter – und die geklaute Melodie
Gemäß § 8 Abs. 1 UrhG setzt die Annahme einer Miturheberschaft voraus, dass mehrere ein Werk gemeinsam geschaffen haben, ohne dass sich ihre Anteile gesondert verwerten lassen. Diese Voraussetzungen sind im Hinblick auf Text und Musik eines Musikstücks nicht gegeben.
Während Liedtexte als Sprachwerke im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG urheberrechtlichen Schutz genießen können1 sind musikalische Kompositionen als Werke der Musik gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 UrhG geschützt. Beide Werkarten können jeweils gesondert verwertet werden.
Bei einer unberechtigten Übernahme der Melodie ergibt sich eine Aktivlegitimation des Texters auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einer Werkverbindung zwischen Text und Musik.
Sowohl nach der Fassung des § 97 UrhG vom 23.06.1995 wie auch nach der aktuellen Fassung dieser Bestimmung setzen Ansprüche auf Unterlassung, Schadensersatz und Geldentschädigung die Verletzung eines Urheberrechts voraus. Gemäß § 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 UrhG gewährt das Urheberrechtsgesetz Schutz für Werke. Den Schutz einer Verbindung zweier Werkarten sieht das Urheberrechtsgesetz nicht vor.
Ein solcher Schutz kann auch nicht § 9 UrhG entnommen werden.
Nach dieser Bestimmung kann für den Fall, dass mehrere Urheber ihre Werke zu gemeinsamer Verwertung miteinander verbunden haben, jeder Urheber vom anderen die Einwilligung zur Veröffentlichung, Verwertung und Änderung der verbundenen Werke verlangen, wenn die Einwilligung dem anderen Teil nach Treu und Glauben zuzumuten ist.
Nach dem klaren Wortlaut dieser Vorschrift regelt diese allein Ansprüche der Urheber der zur gemeinsamen Verwertung verbundenen Werke untereinander. Diese haben ihren Grund darin, dass die Verbindung der Werke zur gemeinsamen Verwertung wechselseitige Treuepflichten der Urheber der verbundenen Werke untereinander begründet2. Ansprüche der Urheber gegen Dritte wegen des Eingriffs in die Werkverbindung sind nicht Gegenstand des § 9 UrhG.
Solche Ansprüche ergeben sich auch nicht aus einem Erst-Recht-Schluss, wonach der Komponist Nutzungsrechte an den Kompositionen nicht ohne Zustimmung des jeweiligen Textdichters hätte einräumen können, da die anderweitige Verwertung der Komposition die Auswertung der Werkverbindung gefährden könne. Wenn der Textdichter aber gegen eine Nutzung vorgehen könne, die der Komponist ohne seine Zustimmung gestattet hätte, müsse er erst recht gegen eine Nutzung der Komposition vorgehen können, die weder der Komponist noch der Textdichter gestattet habe. Dieser Ansicht stimmt der Bundesgerichtshof ausdrücklich nicht zu:
Da § 9 UrhG allein Ansprüche der Urheber der verbundenen Werke untereinander regelt, kann der Urheber eines Liedtextes auf der Grundlage dieser Bestimmung keine Ansprüche gegen den Dritten herleiten, dem von dem Urheber der Komposition des Musiktitels unter Verstoß gegen seine schuldrechtlichen Treuepflichten dem Textdichter gegenüber die Verwertung der Komposition gestattet worden ist. Damit fehlt eine tragfähige Grundlage für den vom Landgericht angenommenen Erst-Recht-Schluss.
Es sind auch sonst keine Gründe ersichtlich, die es rechtfertigen könnten, ohne eine klare gesetzliche Grundlage die in § 9 UrhG geregelte schuldrechtliche Sonderverbindung zwischen den Urhebern von zur gemeinsamen Verwertung verbundenen, im Übrigen aber selbständig verwertbaren Werken derart zu verdinglichen, dass die Verbindung der Werke selbst werkgleich Dritten gegenüber gegen eine Trennung geschützt ist. Der vom Berufungsgericht angeführte Umstand, dass ein Liedtext gemeinsam mit einer Komposition bekannt geworden sein kann und die Interessen des ursprünglichen Textdichters in einem solchen Fall durch eine gesonderte Verwertung der Komposition mit einem anderen Text beeinträchtigt werden können, rechtfertigt eine solche systemwidrige Verdinglichung schuldrechtlicher Treuepflichten nicht. Die Konzeption eines an den Werkbegriff und die Beziehung des Urhebers zu seinem Werk anknüpfenden Schutzsystems des Urheberrechtsgesetzes (vgl. § 11 Satz 1 UrhG) bringt es mit sich, dass nicht jede Beeinträchtigung wirtschaftlicher Interessen eines Urhebers zu urheberrechtlichen Ansprüchen gegenüber Dritten führen muss3.
Die Aktivlegitimation der Textdichter ergibt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts. Es kann offenbleiben, ob eine schwerwiegende Verletzung der geistigen und persönlichen Interessen des Textdichters angenommen werden kann, wenn die ursprüngliche Werkverbindung zwischen Text und Musik aufgelöst und die Musik mit einem neuen; vom Textdichter als unangemessen empfundenen Text verbunden wird. Eine solche Rechtsverletzung scheidet im Streitfall bereits deshalb aus, weil die Textdichter im vorliegenden Fall im deutschsprachigen Raum wenig bekannt sind. Deshalb ist nicht dargelegt und auch sonst nicht ersichtlich, dass das inländische Publikum den vom Musik-Kopierer hinzugefügten Text mit den ursprünglichen Textdichtern in Verbindung bringt.
Im hier entschiedenen Streitfall sind Komponist und Textdichter auch nicht als Gesellschafter einer mit dem Zweck der gemeinsamen Verwertung von Text und Musik gegründeten Gesellschaft bürgerlichen Rechts aktivlegitimiert. Sie haben vielmehr ausdrücklich vorgetragen, gerade keine Gesellschaft gegründet zu haben. Sie haben vielmehr jeweils eigene Ansprüche geltend gemacht. Zudem sind die gestellten Klageanträge nicht auf eine Verurteilung gegenüber einer zwischen Komponisten und Textdichter bestehenden Gesellschaft oder gegenüber ihnen allen zur gesamten Hand gerichtet.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 16. April 2015 – I ZR 225/12
- vgl. Loewenheim in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl., § 2 UrhG Rn. 82; Nordemann in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 11. Aufl., § 2 UrhG Rn. 54[↩]
- vgl. Loewenheim in Schricker/Loewenheim aaO § 9 UrhG Rn. 10 mwN[↩]
- vgl. Thum in Rn. 36 Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 4. Aufl., § 9 UrhG Rn. 36; aA Wirtz in Fromm/Nordemann aaO § 9 UrhG Rn. 25; Mohme in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 3. Aufl., § 9 UrhG Rn. 18; wohl auch Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, 4. Aufl., § 9 Rn. 22[↩]