“Mein Kampf” und die Veröffentlichung in Deutschland

Die Veröffentlichung von Auszügen aus “Mein Kampf” in “Das unlesbare Buch” ist auch weiterhin zu unterlassen.

So hat nun auch das Oberlandesgericht München in dem hier vorliegenden Fall die Veröffentlichung von Teilen des Werkes “Mein Kampf” verboten. Auf Antrag des Freistaats Bayern hatte das Landgericht München I bereits am 25. Januar 2012 eine einstweilige Verfügung erlassen, mit der einer britischen Verlagsgesellschaft und deren Geschäftsführer als Antragsgegnern ein entsprechendes Vorhaben untersagt wurde. Mit landgerichtlichem Urteil vom 08.03.2012 wurde diese einstweilige Verfügung aufrechterhalten. Dagegen ist Berufung eingelegt worden. Dabei argumentierten die Antragsgegner, ihre geplante Publikation mit dem Titel “Das unlesbare Buch” sei ein wissenschaftliches Werk, in dem gerade einmal 1% des Originalwerks exemplarisch zitiert würde. Die Textübernahmen seien daher durch das urheberrechtliche Zitatrecht gerechtfertigt. Das Verbot der Veröffentlichung komme zudem einer Zensur gleich.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts München stehen dem Freistaat Bayern als Inhaber der urheberrechtlichen Verwertungsrechte an Hitlers „Mein Kampf“ die geltend gemachten Unterlassungsansprüche gegen beide Antragsgegner aus § 97 Abs. 1 Satz 2 UrhG zu. Die Ankündigung, dass der Verlag die Beilage „Das unlesbare Buch“ veröffentlichen werde, zeigt, dass der Verlag sich in naher Zukunft in der entsprechenden Weise rechtswidrig verhalten werde. Dies genügt für die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs. Auch der Geschäftsführer des Verlags haftet für die drohende Urheberrechtsverletzung, weil er zumindest Kenntnis von der bevorstehenden Veröffentlichung hatte und nichts zu deren Verhinderung unternommen hat.

Desweiteren ist die Veröffentlichung nicht durch die urheberrechtliche Schranke des Zitatrechts gerechtfertigt. Zitate sollen als Belegstelle oder Erörterungsgrundlage für selbständige Ausführungen des Zitierenden der Erleichterung der geistigen Auseinandersetzung dienen. Das zitierende Werk muss dabei aber die Hauptsache, das Zitat die Nebensache bleiben. So ist es aber im Streitfall nicht, da hier die in eigenen Spalten wiedergegebenen Textstellen aus „Mein Kampf“ nicht als Beleg oder Erörterungsgrundlage für die ihnen zugeordneten Kommentare dienen. Der Leser wird vielmehr letztlich dazu aufgefordert, sich durch die Lektüre der Auszüge des Originalwerks, nicht der Kommentare, ein eigenes Bild zu machen. Die Grenze des zulässigen Zitatzwecks ist damit überschritten.

Darüber hinaus umfassen die dem Freistaat Bayern zustehenden urheberrechtlichen Verwertungsrechte auch die Befugnis, von der Verwertung eines Werks abzusehen.

Für die Beurteilung nach dem Urheberrecht ist es ohne Belang, ob unabhängig davon ein hoheitliches Verbot der Vervielfältigung und Verbreitung des Werks besteht.

Die Rechtspositionen, auf die sich der Verlag und dessen Geschäftsführer berufen, haben gegenüber den dem Freistaat Bayern zustehenden Rechten keinen Vorrang. Im Streitfall trägt die Wiedergabe der nicht von einem Zitatzweck getragenen Textstellen aus „Mein Kampf“ für sich genommen nicht zu einem Erkenntnisgewinn bei und fällt daher nicht unter die Wissenschaftsfreiheit.

Das Zensurverbot ist nicht betroffen, wenn zur Durchsetzung eines in einem allgemeinen Gesetz geschützten Rechtsguts die dort vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten genutzt werden. Eine behördliche Vorprüfung oder Genehmigung des Inhalts einer Veröffentlichung liegt damit nicht vor.

Das Grundrecht der Meinungsfreiheit wird durch die allgemeinen Gesetze eingeschränkt, zu denen auch das Urheberrechtsgesetz gehört. Dem Interesse der Allgemeinheit an einem ungehinderten Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken trägt § 51 UrhG dadurch Rechnung, dass eine Werknutzung erlaubt ist, sofern sie einem Zitatzweck dient. Ein darüber hinausgehender Eingriff ist nicht durch die Meinungsfreiheit geschützt.

Der Freistaat Bayern verstößt durch die Geltendmachung der Unterlassungsansprüche auch nicht in treuwidriger Weise gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn er die Veröffentlichung des Werks von Christian Zentner “Adolf Hitlers Mein Kampf – Eine kommentierte Auswahl, Erstauflage 1974; 21. Auflage 2011″ hinnimmt, aber gegen die von den Antragsgegnern beabsichtigte Veröffentlichung vorgeht. Es handelt sich nicht um im wesentlichen gleichgelagerte Sachverhalte. Das genannte Werk unterscheidet sich erheblich von der streitgegenständlichen Broschüre und eignet sich anders als jene nicht für eine kurze, von bloßer Neugier getragene Lektüre. Eine unterschiedliche Behandlung der beiden Werke ist sachlich gerechtfertigt und auch nicht unverhältnismäßig.

Der Freistaat Bayern missbraucht mit der Verfolgung seiner urheberrechtlichen Unterlassungsansprüche auch nicht eine formale Rechtsposition zur Durchsetzung gesetzesfremder Zwecke. Es gibt keine gesetzgeberische Grundentscheidung, dass die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts nur durch die Anwendung strafrechtlicher Normen verhindert werden dürfe. Vielmehr ist es angesichts der Bedeutung, welche die Verhinderung einer propagandistischen Affirmation der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft für die deutsche Staatlichkeit hat, ohne weiteres gerechtfertigt, dass der Freistaat Bayern auch die ihm durch das Urheberrecht eröffneten Möglichkeiten nutzt, einer Verbreitung nationalsozialistischer Schriften entgegenzuwirken.

Wegen des Zeitablaufs bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache war, wie das Oberlandesgericht ausgeführt hat, eine Regelung durch einstweilige Verfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile für den Freistaat Bayern nötig. Diesem kann nicht zugemutet werden, die drohende Verletzung seiner Verwertungsrechte hinzunehmen. Die Beeinträchtigung, die ihm dadurch erwachsen würde, dass seine Entscheidung, „Mein Kampf“ nicht veröffentlichen zu lassen, unterlaufen wird, kann auch durch Sekundäransprüche (also z.B. spätere Schadensersatzansprüche) nicht angemessen ausgeglichen werden.

Oberlandesgericht München, Urteil vom 14. Juni 2012 – 29 U 1204/12