Persönlichkeitsrechtsverletzung – und der Tod während der Schmerzensgeldklage
Der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung ist grundsätzlich nicht vererblich. Dies gilt auch, wenn der Anspruch noch zu Lebzeiten des Geschädigten anhängig oder rechtshängig geworden ist1.
Der Bundesgerichtshof hat im Urteil vom 29.04.20142 klargestellt, dass der Anspruch auf Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts grundsätzlich nicht vererblich ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Erblasser vor Rechtshängigkeit des anhängig gemachten Anspruchs stirbt3.
Soweit sich gegen dieses Urteil gewendet word4, sieht der Bundesgerichtshof keine Veranlassung, davon abzurücken. Mit ihren Argumenten hat sich der Bundesgerichtshof bereits in dieser Entscheidung auseinandergesetzt.
Die Frage, ob der Geldentschädigungsanspruch auch dann unvererblich ist, wenn der Erblasser erst nach dessen Rechtshängigkeit stirbt, konnte der Bundesgerichtshof dort offenlassen5. Die Frage ist jetzt in dem Sinne zu entscheiden, dass die Rechtshängigkeit keine Ausnahme von der grundsätzlichen Unvererblichkeit dieses Anspruchs rechtfertigt6.
Der Bundesgerichtshof hält daran fest, dass sich aus der Streichung des bis zum 30.06.1990 geltenden § 847 Abs. 1 Satz 2 BGB – ebenso wie aus der Streichung des § 34 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BGSG7 und des § 1300 Abs. 2 BGB (§ 1300 aufgehoben durch Art. 1 Nr. 1 Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts vom 04.05.1998, BGBl. I S. 833) – kein Wille des Gesetzgebers ableiten lässt, den Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vererblich auszugestalten8. Erst recht lässt sich deshalb kein Wille des Gesetzgebers feststellen, dass ein grundsätzlich unvererblicher Anspruch im Falle seiner Rechtshängigkeit entsprechend § 847 Abs. 1 Satz 2 BGB aF ausnahmsweise vererblich sein solle. Die Begründung des Regierungsentwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, durch das der Schmerzensgeldanspruch vom Deliktsrecht (§ 847 BGB aF) in das allgemeine Schadensrecht (§ 253 Abs. 2 BGB) überführt wurde, stellt ausdrücklich klar, dass der auf den Schutzauftrag aus Artikel 1 und 2 Abs. 1 GG zurückgehende Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von den §§ 847, 253 BGB geltenden Rechts unabhängig ist, so dass Änderungen dieser Vorschriften ihn auch nicht tangieren können9.
Die Rechtsordnung enthält keinen allgemeinen Grundsatz, aus dem die Vererblichkeit rechtshängig gemachter Ansprüche ableitbar wäre.
Materiellrechtlich entfaltet die Rechtshängigkeit zwar rechtserhaltende Wirkungen, wenn eine Rechtsnorm die Durchsetzbarkeit oder den Bestand eines Rechts, regelmäßig eines Anspruchs, ausschließt, sofern das Recht nicht innerhalb einer bestimmten Frist rechtshängig gemacht wird10. Motiv dieses Zusammenspiels von Rechtsverlust und Rechtserhalt ist typischerweise, dass der Schuldner oder Rechtsgegner nach einer bestimmten Zeit Klarheit darüber erhalten soll, ob das Recht verfolgt wird oder nicht. Besonders deutlich wird dies am Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Da die Verjährungsvorschriften dem Rechtsfrieden, der Rechtsklarheit und dem Zweck dienen, den Schuldner vor Beweisnöten zu bewahren, die mit einem zu langen zeitlichen Abstand zum Entstehen des Anspruchsgrunds eintreten können11, verjährt ein Anspruch nicht, wenn er innerhalb der laufenden Verjährungsfrist gerichtlich geltend gemacht wird. Entsprechendes gilt für andere Normen, die für die gerichtliche Geltendmachung eine bestimmte Frist setzen (vgl. etwa § 562b Abs. 2 Satz 2, § 801 Abs. 1 Satz 3, § 864 Abs. 1, § 977 Satz 2, § 1002 Abs. 1, § 1965 Abs. 2 Satz 1 BGB, § 440 Abs. 3 HGB). Bei der Frage der Vererblichkeit eines Geldentschädigungsanspruchs wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts stellt sich dieser Regelungszusammenhang aber nicht. Hier geht es nicht darum, dass der Anspruch aus Gründen des Rechtsfriedens, der Rechtsklarheit oder zum Schutz des Verletzers zu Lebzeiten des Verletzten geltend gemacht werden muss, um Rechtsnachteile zu verhindern. Vielmehr folgt die Unvererblichkeit unabhängig von der Schutzwürdigkeit des Verletzers oder des Rechtsverkehrs aus der Funktion dieses Geldentschädigungsanspruchs12.
Der Rechtshängigkeit kann zwar auch eine rechts(ver)stärkende Wirkung zukommen13. Soweit man § 847 Abs. 1 Satz 2 BGB aF und § 1300 Abs. 2 BGB eine solche Wirkung entnahm, ist diese aber bereits durch deren Streichung gegenstandslos geworden. Abgesehen davon wurde mit § 847 Abs. 1 Satz 2 aF BGB nicht das Ziel verfolgt, einen grundsätzlich unvererblichen Anspruch ausnahmsweise vererblich auszugestalten. Vielmehr schuf der historische Gesetzgeber diese Norm, weil er es als etwas Anstößiges ansah, den Erben die Verfolgung eines Anspruchs zu gestatten, an dessen Geltendmachung der Verletzte vielleicht nicht dachte, sei es, weil er den betreffenden Schaden gar nicht empfunden hatte, sei es, weil er aus persönlichen Rücksichten die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen wünschte. Nur aus Gründen praktischer Zweckmäßigkeit zur Vermeidung der sonst zu besorgenden Streitigkeiten hielt es der Gesetzgeber für ratsam, den Übergang des Anspruchs auf die Erben nicht schon dann zuzulassen, wenn der Verletzte die Geldentschädigung nur außergerichtlich verlangt hatte, sondern nur dann, wenn der Anspruch vertragsmäßig anerkannt oder rechtshängig geworden war14. Dem Erben sollte mithin nur dann die Anspruchsverfolgung gestattet werden, wenn erstens der Wille des Verletzten hierzu klar erkennbar war und zweitens Streit über die Äußerung dieses Willens ausgeschaltet werden konnte15.
Für die Frage, ob der Geldentschädigungsanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts grundsätzlich vererblich ist, ist deshalb sowohl vor als auch nach der Rechtshängigkeit allein dessen Funktion maßgebend. Der Bundesgerichtshof hat bereits mehrfach klargestellt, dass bei der Zuerkennung einer Geldentschädigung im Falle einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung – anders als beim Schmerzensgeld – regelmäßig der Genugtuungsgedanke im Vordergrund steht16, während der Präventionsgedanke die Gewährung einer Geldentschädigung nicht alleine zu tragen vermag17. Der Bundesgerichtshof hat deshalb für die Frage der Vererblichkeit eines bereits anhängigen Entschädigungsanspruchs ausgeführt, dass die Anhängigkeit einer auf Geldentschädigung gerichteten Klage nichts daran ändert, dass die von der Geldentschädigung bezweckte Genugtuung mit dem Tod des Verletzten an Bedeutung verliert18. Aus dem Gedanken der Genugtuung folgt weiter, dass auch ein rechtshängiger Geldentschädigungsanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht vererblich ist. Denn ebenso wenig wie der Erblasser Genugtuung bereits mit der Einreichung der Klage erlangt, erlangt er sie mit deren Zustellung19. Sie tritt erst mit der rechtskräftigen Zuerkennung eines Anspruchs auf Geldentschädigung ein. Denn mit der Rechtskraft und nicht mit der Zustellung der Klage, mit der allenfalls eine Aussicht auf Genugtuung entsteht, wird eine gesicherte Position erlangt. Der Bundesgerichtshof hat in dem Urteil vom 29.04.201420 formuliert, sterbe der Erblasser, bevor sein Entschädigungsanspruch erfüllt worden sei, verliere die mit der Geldentschädigung bezweckte Genugtuung regelmäßig ebenfalls an Bedeutung. Daraus kann nicht abgeleitet werden, Genugtuung werde erst mit der Erfüllung erlangt21. Stirbt der Erblasser nach Rechtskraft der Entscheidung, geht der rechtskräftig zuerkannte Anspruch auf seinen Erben über.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. Mai 2017 – VI ZR 261/16
- Fortführung von BGH, Urteil vom 29.04.2014 – VI ZR 246/12, BGHZ 201, 45 ff.[↩]
- BGH, Urteil vom 29.04.2014 – VI ZR 246/12, BGHZ 201, 45 Rn. 8 ff. – Berichterstattung über trauernden Entertainer[↩]
- ebenso BGH, Urteil vom 29.11.2016 – VI ZR 530/15, VersR 2017, 301 Rn. 8[↩]
- so BeckOGK/Preuß, § 1922 Rn. 353.1 [Stand: 1.03.2017]; Beuthien, GRUR 2014, 957 ff.; Ludyga, ZUM 2014, 706 f.; MünchKomm-BGB/Leipold, 7. Aufl., § 1922 Rn. 121 f.; Schubert, JZ 2014, 1056 ff.; Staudinger/Kunz, BGB, 2017, § 1922 Rn. 311 ff.; Staudinger/Melestean, Jura 2016, 783, 789 ff.[↩]
- aaO, Rn. 25; ebenso schon zu § 847 Abs. 1 Satz 2 BGB aF BGH, Urteil vom 04.06.1974 – VI ZR 68/73, GRUR 1974, 797, 800 – Fiete Schulze[↩]
- ohne Differenzierung zwischen rechtshängigen und nicht rechtshängigen Ansprüchen gegen die Vererblichkeit auch BeckOK/Bamberger, BGB, § 12 Rn. 118 [Stand: 1.02.2017]; Damm/Rehbock, Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz in den Medien, 3. Aufl., Rn. 1011 ff.; Erman/Klass, BGB, 14. Aufl., Anhang zu § 12 Rn. 320; Fechner, Medienrecht, 17. Aufl., Kap. 4 Rn. 157; jurisPK-BGB/Vieweg/Lorz, § 253 Rn. 47 [Stand: 1.12 2016]; Müller in Götting/Schertz/Seitz, Handbuch des Persönlichkeitsrechts, 2008, § 51 Rn. 28; Löffler/Steffen, Presserecht, 6. Aufl., § 6 LPG Rn. 344; NK-BGB/Katzenmeier, 3. Aufl., § 823 Rn. 245; Palandt/Weidlich, BGB, 76. Aufl., § 1922 Rn. 36; PWW/Zimmer, BGB, 11. Aufl., § 1922 Rn. 48; Ricker in Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts, 6. Aufl., 44. Kap. Rn. 43b; offen gelassen von BeckOK InfoMedienR/Söder, § 823 BGB Rn. 306 [Stand: 1.02.2017]; gegen einen Einfluss des Verfahrensstandes auch Staudinger/Melestean, Jura 2016, 783, 790; für eine Vererblichkeit nach Rechtshängigkeit Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Kap. 14 Rn. 140; Soehring in Soehring/Hoene, Presserecht, 5. Aufl., § 32 Rn. 23; wohl auch Geiger, jurisPR-FamR 22/2014, Anm. 1 [sub. D.]; Beater, Medienrecht, 2. Aufl., Rn. 2166[↩]
- Gesetz über den Bundesgrenzschutz in der Fassung vom 26.06.1981, BGBl. I S. 553, beide gestrichen durch Gesetz zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches und anderer Gesetze vom 14.03.1990, BGBl. I S. 478[↩]
- BGH, Urteil vom 29.04.2014 – VI ZR 246/12, BGHZ 201, 45 Rn. 14 ff.; BT-Drs. 11/4415, S. 1, 4; kritisch Ludyga, ZUM 2014, 706 f.; Cronemeyer, AfP 2012, 10, 12[↩]
- BT-Drs. 14/7752, S. 24 f.[↩]
- vgl. Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 262 Rn. 6 ff.; Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 262 Rn. 9; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 14. Aufl., § 262 Rn. 1[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 03.12 2014 – XII ZB 181/13, NJW 2015, 1014 Rn. 46; Urteil vom 22.04.2010 – Xa ZR 73/07, NJW 2011, 218 Rn. 25; jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 29.04.2014 – VI ZR 246/12, BGHZ 201, 45 Rn. 17 ff.[↩]
- vgl. Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 262 Rn. 11; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 262 Rn. 16[↩]
- Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Recht der Schuldverhältnisse, §§ 652853, 1983, 25. Titel, Unerlaubte Handlungen, 1. Kommission, Prot – I 2836; siehe auch Motive, Bd. 3, S. 802 = Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. II, S. 448; dazu ferner BGH, Urteil vom 06.12 1994 – VI ZR 80/94, NJW 1995, 783[↩]
- so der Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und anderer Gesetze, BT-Drs. 11/5423, S. 4[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 29.04.2014 – VI ZR 246/12, BGHZ 201, 45 Rn. 18; vom 06.12 2005 – VI ZR 265/04, BGHZ 165, 203, 206; vom 05.10.2004 – VI ZR 255/03, BGHZ 160, 298, 302; jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 29.04.2014 – VI ZR 246/12, BGHZ 201, 45 Rn.19; vom 06.12 2005 – VI ZR 265/04, BGHZ 165, 203, 207; vom 05.03.1974 – VI ZR 228/72, VersR 1974, 756, 758[↩]
- BGH, Urteil vom 29.04.2014 – VI ZR 246/12, BGHZ 201, 45 Rn. 24[↩]
- vgl. Stender-Vorwachs, NJW 2014, 2831, 2833; MünchKomm-BGB/Leipold, 7. Aufl., § 1922 Rn. 122; Geiger, jurisPR-FamR 22/2014 Anm. 1 [sub. C.]; Spickhoff, LMK 2014, 359158 [sub. 2][↩]
- BGH, Urteil vom 29.04.2014 – VI ZR 246/12, aaO, Rn. 18[↩]
- aA Spickhoff, LMK 2014, 359158 [sub.02.]; Beuthien, GRUR 2014, 957, 958[↩]