Speicherpflicht für Verkehrsdaten
Das Bundesverfassungsgericht hat eine gegen Artikel 5 sowie Artikel 1 Ziffer 9 des Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten vom 10.12.20151 gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen:
Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die 2015 eingeführten Rechtsnormen des § 202d StGB (Datenhehlerei) und § 97 Abs. 2 Satz 3 StPO a.F.2. Sie sind natürliche Personen und Vereine, die selbst oder unterstützend investigativ journalistisch tätig sind, und rügen eine Verletzung der Presse- und Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG, der Freiheit der Berufsausübung aus Art. 12 Abs. 1 GG sowie des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots aus Art. 103 Abs. 2 GG.
Die Beschwerdeführer tragen vor, im Rahmen ihrer Tätigkeit auf Informationen von sogenannten Whistleblowern angewiesen zu sein, die regelmäßig in Form von Daten an sie herangereicht würden. Aufgrund der Einführung des Straftatbestands der Datenhehlerei, § 202d StGB, sowie der Änderung des § 97 Abs. 2 StPO würde ihre Tätigkeit erschwert, sie selbst und Dritte, die an der Erstellung investigativ journalistischer Veröffentlichungen ebenfalls beteiligt seien, von ihr abgehalten und unter Strafe gestellt.
Das Bundesverfassungsgericht beurteilte die Verfassungsbeschwerde als unzulässig, weil die Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Verletzung von Grundrechten durch die angegriffenen Regelungen nicht hinreichend substantiiert dargelegt haben.
Die Beschwerdeführer können grundsätzlich Träger von Grundrechten und damit beschwerdefähig sein. Das gilt auch für die Beschwerdeführer zu 2)) und zu 9)), die als eingetragene Vereine3 und damit als inländische juristische Personen im Sinne des Art.19 Abs. 3 GG grundrechtsberechtigt sind. Juristische Personen können sich grundsätzlich auf die von den Beschwerdeführern geltend gemachten Grundrechte der Presse- und Rundfunkfreiheit berufen4.
Die Beschwerdeführer haben jedoch nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechend dargelegt, beschwerdebefugt zu sein.
Nach § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG ist zur Begründung der Verfassungsbeschwerde das angeblich verletzte Recht zu bezeichnen und der seine Verletzung enthaltende Vorgang substantiiert darzulegen5. Die Verfassungsbeschwerde muss sich mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen6. Die Beschwerdeführenden müssen darlegen, mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidiert; sie müssen das Grundrecht in Bezug zu dem Lebenssachverhalt setzen und die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung verdeutlichen7. Soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe aufgezeigt werden, inwieweit Grundrechte durch die angegriffene Maßnahme verletzt sein sollen8. Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen eine gesetzliche Vorschrift, so muss der Beschwerdeführer ausreichend substantiiert geltend machen, durch die angegriffene Norm selbst, gegenwärtig und unmittelbar verletzt zu sein9. Zu den Begründungsanforderungen an eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde gehört auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der einfachrechtlichen Rechtslage10.
Diesen Maßstäben genügt die Verfassungsbeschwerde im Ergebnis nicht. Zwar ist der Schutzbereich der Presse- und Rundfunkfreiheit eröffnet, und die Beschwerdeführer haben dargelegt, dass die Tätigkeiten, die sie durch die angegriffenen Normen für beeinträchtigt halten, dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unterfallen. Der Vortrag der Beschwerdeführer genügt hinsichtlich des geltend gemachten Eingriffs und ihrer Beschwer jedoch nicht den Anforderungen.
Das Grundrecht der Presse- und Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG schützt den gesamten Prozess der Herstellung und Verbreitung von digitalen oder analogen Presseerzeugnissen und Rundfunksendungen von der Informationsgewinnung bis zur Veröffentlichung und zum Vertrieb der hergestellten Inhalte11. Dabei schützt das Grundrecht die an diesem Prozess berufsmäßig beteiligten Personen nicht nur vor gezielter staatlicher Einflussnahme auf die inhaltliche und formelle Gestaltung der Presse- und Rundfunkerzeugnisse. Als Grundentscheidung für ein freies Presse- und Rundfunkwesen gewährleistet Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vielmehr auch die institutionellen Rahmen- und Funktionsbedingungen der journalistischen Tätigkeit12. Zu diesen unentbehrlichen Funktionsbedingungen freier Presse- und Rundfunktätigkeit gehören insbesondere auch die grundsätzliche Zugänglichkeit der für diese Tätigkeit benötigten Informationen. Erst der prinzipiell ungehinderte Zugang zur Information versetzt die Medien in den Stand, die ihnen in der freiheitlichen Demokratie zukommende Funktion wahrzunehmen13. Dies bedingt auch die Notwendigkeit eines besonderen Schutzes der für die Informationsgewinnung benötigten Quellen, des in diesem Rahmen vorausgesetzten Vertrauensverhältnisses und der Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit14. Zudem betrifft der Schutz vor inhaltsbezogenen Einwirkungen nicht allein Eingriffe im traditionellen Sinne15, sondern kann auch bei mittelbaren Einwirkungen auf die Presse16 ausgelöst werden, wenn sie in der Zielsetzung und ihren Wirkungen Eingriffen gleichkommen17. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährt den Trägern der Pressefreiheit daher ein subjektives Abwehrrecht auch gegen Beeinträchtigungen, die mittelbar über eine Einflussnahme des Staates auf Dritte eintreten, etwa dadurch, dass das Verhalten dieser Dritten die publizistischen Wirkungsmöglichkeiten oder die finanziellen Erträge des Presseorgans in einer Weise nachteilig beeinflusst, die einem Eingriff gleichkommt. Dass über faktische Nachteile des Informationshandelns hinaus rechtliche Auswirkungen an die staatliche Maßnahme geknüpft sein müssen, ist nicht Voraussetzung dafür, dass die Kommunikationsfreiheit beeinträchtigt sein kann18.
Es bleibt in jedem Fall Sache der Beschwerdeführer, die Einzelheiten der von ihnen erstrebten Handlungen, deren Verbot sie bekämpfen möchten, hinreichend substantiiert darzulegen, so dass das Bundesverfassungsgericht in die Lage versetzt wird, die Frage der unmittelbaren Betroffenheit zu beurteilen (§ 23 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 92 BVerfGG; vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a., Rn. 88).
Die Beschwerdeführer tragen nicht hinreichend substantiiert vor, dass ein grundrechtlich geschütztes Verhalten von der angegriffenen Norm nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Systematik betroffen und eine Auslegung im Einklang mit Art. 5 Abs. 2 GG nicht möglich ist. Insbesondere sind die von den Beschwerdeführern vorgetragenen Beispielsfälle vom Tatbestand der Datenhehlerei eindeutig nicht umfasst. Mangels ersichtlicher Strafbarkeit besteht hier kein Risiko von Journalisten betreffenden strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen nach § 97 Abs. 2 Satz 2 StPO (n.F.). Das Vorbringen der Beschwerdeführer lässt auch nicht erkennen, dass die angegriffenen Vorschriften für sie oder Dritte eine einem Eingriff gleichkommende abschreckende Wirkung entfalten könnten.
Regelmäßig dürfte es bereits an der rechtswidrigen Tat eines anderen im Sinne des § 202d Abs. 1 StGB fehlen, durch die die Daten erlangt wurden. Handelt es sich bei dem Informanten um einen an sich berechtigten Mitarbeiter des Betroffenen, der auf die übermittelten Daten zugreifen kann, kann sich der Mitarbeiter und Informant durch die Weitergabe der Daten strafbar gemacht haben. Er hätte die Daten aber nicht durch eine rechtswidrige Tat erlangt, da er schon zuvor auf sie zugreifen konnte.
Selbst bei unterstellter Verwirklichung des objektiven Tatbestandes bestehen unter Zugrundelegung des Vortrags der Beschwerdeführer erhebliche Zweifel daran, dass der subjektive Tatbestand der Datenhehlerei erfüllt sein könnte. Zunächst ist fraglich, ob sich aus den Ausführungen der Beschwerdeführer zu den von ihnen gebildeten Beispielsfällen überhaupt ein bedingter Vorsatz des Handelnden im Hinblick auf die rechtswidrige Vortat ergibt. Der Gesetzesbegründung nach reicht das Bewusstsein, dass die Daten aus irgendeiner rechtswidrigen Tat stammen, nicht aus19. Dass ein Journalist eine rechtwidrige Beschaffung der Daten aufgrund ihrer Sensibilität nicht ausschließen kann, genügt gerade nicht.
Weiter fehlt es an hinreichendem Vortrag, der eine Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht des Journalisten erkennen ließe. Die (Dritt-)Bereicherung und die Schädigung setzen gemäß der Gesetzesbegründung ausdrücklich Absicht voraus19. Die Schädigung beziehungsweise der Vorteil müssen vom Täter als Erfolg gewollt werden, es muss ihm gerade darauf ankommen. Steht die Aufklärung von Missständen im Vordergrund, richtet sich die Absicht des Täters hierauf, nicht aber auf die Schädigung.
Letztlich fehlt es an hinreichendem Vortrag der Beschwerdeführer dazu, warum der Tatbestandsausschluss für sie keine Anwendung finden sollte. In Anbetracht der weiteren Gesetzesbegründung drängt sich entgegen der Annahme der Beschwerdeführer auf, dass ein umfassender Ausschluss journalistischer Tätigkeiten bezweckt wird20. Der Tatbestandsausschluss zielt darauf ab, dass eine journalistische Tätigkeit auch dann nicht unter Strafe gestellt wird, wenn Recherchen gegebenenfalls unergiebig sind und es im Ergebnis nicht zu einer Veröffentlichung kommt. Entscheidend ist die Vorstellung des jeweiligen Journalisten, dass seine Handlungen in eine konkrete Veröffentlichung münden kann.
Soweit die Beschwerdeführer vortragen, das Ausschließlichkeitskriterium des § 202d Abs. 3 Satz 1 StGB werde der journalistischen Praxis nicht gerecht, weil regelmäßig ein Bündel von Motiven vorliege, überzeugt dies bereits im Ansatz nicht. Die Lesart der Beschwerdeführer verengt in nicht nachvollziehbarer Weise den Anwendungsbereich des zugunsten der Journalisten eingefügten Tatbestandsausschlusses und steht in direktem Widerspruch zu der in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommenden Zielsetzung, journalistische Tätigkeiten umfassend zu schützen. Aus dem Wortlaut und der Systematik der Norm ergibt sich, dass die Verwendung einen objektiv funktionalen Zusammenhang zur Aufgabenerfüllung aufweisen muss. Der konkrete Zusammenhang mit der – hier journalistischen – Aufgabenerfüllung ist der Grund, der die Tatbestandslosigkeit des Umgangs mit ansonsten bemakelten Daten begründet.
Die von den Beschwerdeführern monierte abschreckende und eingriffsäquivalente Wirkung der angegriffenen Normen, die eine „Aura des vielleicht Strafbaren“ umgebe, lässt sich nach dem Obenstehenden nicht nachvollziehen. Ein hinreichendes Risiko, dass sich Journalisten nach § 202d StGB strafbar machen, besteht nicht. Dementsprechend ist ebensowenig mit vorgelagerten Ermittlungsmaßnahmen zu rechnen. Dies deckt sich mit der vom Bundesministerium der Justiz im Rahmen der Beantwortung des Fragenkatalogs (§ 27a BVerfGG, § 22 Abs. 5 GOBVerfG) durchgeführten Abfrage in den Landesjustizverwaltungen, wonach seit 2018 keine Verfahren nach § 202d StGB Journalisten betreffend bekannt sind.
Gleichfalls ist nicht nachzuvollziehen und von den Beschwerdeführern nicht dargelegt, dass von den angegriffenen Normen eine Einschüchterungswirkung bei den Quellen der Journalisten ausgehen sollte, da sie sich als Vortäter nicht nach § 202d StGB strafbar machen. Auch eine von den angegriffenen Normen ausgehende Abschreckungswirkung auf sonstige Mittelspersonen haben die Beschwerdeführer weder dargelegt, noch würde sie aus den eingegangenen Antworten auf den Fragenkatalog der Kammer sonstwie ersichtlich. Eine Tatbestandsverwirklichung durch Hilfspersonen der Journalisten liegt ebenfalls fern und ist nicht hinreichend ausgeführt; erhalten etwa IT-Spezialisten von Journalisten Daten zur Bearbeitung, so fehlt es aufgrund des Tatbestandsausschlusses zugunsten der Journalisten bereits an einer tauglichen, rechtswidrigen Vortat im Sinne des § 202d StGB mit Blick auf die Hilfspersonen.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 30. März 2022 – 1 BvR 2821/16
- BGBl. I S. 2218[↩]
- seit 2017 im Wesentlichen § 97 Abs. 2 Satz 2 StPO n.F.[↩]
- vgl. BVerfGE 3, 383 <390> 10, 221 <225> 24, 278 <282> 97, 228 <253> 105, 279 <292 f.>[↩]
- vgl. BVerfGE 95, 28 <34 f.>[↩]
- vgl. BVerfGE 9, 109 <114 f.> 81, 208 <214> 99, 84 <87>[↩]
- vgl. BVerfGE 89, 155 <171> 101, 331 <345 f.>[↩]
- vgl. BVerfGE 79, 203 <209> 108, 370 <386 f.> 120, 274 <298> BVerfG, Beschluss vom 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a., Rn. 88[↩]
- vgl. BVerfGE 99, 84 <87> 101, 331 <346> 115, 166 <179 f.> 130, 1 <21>[↩]
- vgl. BVerfGE 40, 141 <156> 60, 360 <370> 72, 39 <43> 79, 1 <13> stRspr[↩]
- vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 27.07.2015 – 1 BvR 1560/15, Rn. 5; vom 20.05.2021 – 1 BvR 928/21, Rn. 12[↩]
- vgl. BVerfGE 10, 118 <121> 66, 116 <133> 77, 65 <74 ff.> 117, 244 <258 f.> stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 20, 162 <174 ff.> 66, 116 <133 f.>[↩]
- BVerfGE 91, 125 <134> 103, 44 <59>[↩]
- vgl. BVerfGE 20, 162 <176> 66, 116 <134> 100, 313 <365> 117, 244 <259>[↩]
- zum herkömmlichen Eingriffsbegriff siehe BVerfGE 105, 279 <300>[↩]
- vgl. BVerfGE 52, 283 <296>[↩]
- vgl. BVerfGE 105, 252 <273>[↩]
- vgl. BVerfGE 113, 63 <76 f.>[↩]
- BT-Drs. 18/5088, S. 47[↩][↩]
- „Zum anderen wird klargestellt, dass […] insbesondere journalistische Tätigkeiten unter den Tatbestandsausschluss fallen.“; BT-Drs. 18/5088, S. 48[↩]