Volksverhetzung – und die Grenzen der Meinungsfreiheit

Nicht jede üble oder auch rassistische Äußerung erfüllt den Straftatbestand der Volksverhetzung1 Der Straftatbestand der Volksverhetzung ist eng gefasst und muss mit Blick auf die grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG auch eng ausgelegt werden.

Mit zwei Revisionen gegen Freisprüche wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung hatte sich jetzt das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zu befassen. In einem Verfahren bestätigte das OLG den Freispruch, in dem anderen hob es die Entscheidung auf und verwies die Sache zurück an das Amtsgericht:

Im ersten Fall hat die Staatsanwaltschaft Revision gegen ein vom Vorwurf der Volksverhetzung freisprechendes Urteil des Landgerichts Kassel eingelegt. Gegenständlich ist eine Bild-Text-Collage, die ein nordhessischer Kommunalpolitiker Sylvester 2019 auf Facebook geteilt haben soll. In dem Post sind auf dem einen Bild mehrere Männer schwarzer Hautfarbe, die mit Unterhemden oder T-Shirts bekleidet sind, zu sehen, die freudig Papiere in die Kamera zu halten scheinen, versehen mit der Textzeile „Wir sind EU-Bürger“. Darunter sind mehrere Löwen abgebildet mit der Textzeile „und wir sind Vegetarier“. Der Kommunalpolitiker soll den Post nach öffentlicher Kritik aus seiner Facebookchronik gelöscht und sich öffentlich entschuldigt haben.

Das Oberlandesgericht hat die Revision verworfen. Das Oberlandesgericht hat sich intensiv mit der Frage befasst, ob der Post objektiv eindeutig nur so verstanden werden könne, dass es lächerlich sei, anzunehmen, dass schwarze Menschen gleichwertige Bürger eines EU-Landes sein könnten, Schwarze also wegen ihres So-Seins verächtlich gemacht werden, oder ob der Post als objektiv noch mehrdeutig einzuordnen ist und auch die vom Landgericht Kassel in Betracht gezogene Auslegung vertretbar ist. Nach der landgerichtlichen Auslegung wende sich der Post gegen eine weitere Einwanderung von Menschen aus Afrika nach Europa und damit gegen migrationspolitische Positionen der Bundesregierung.

Hier seien, so das Oberlandesgericht, mehrere Auslegungen des Posts möglich und auch die dem Angeklagten günstigste letztgenannte Auslegung vertretbar, nach der in der Weiterleitung (nur) eine überspitze Kritik an migrationspolitischen Aussagen zu sehen sein könnte. Unter Zugrundelegung der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts sei damit im Hinblick auf die grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit noch keine Strafbarkeit nach § 130 StGB a. F. anzunehmen. Das Oberlandesgericht unterstrich, dass nicht jede eventuell rassistische Bemerkung, die sich dann, wenn sie sich gegen eine oder mehrere konkrete individualisierbare Personen richte, als Beleidigung strafbar wäre, auch den Tatbestand der Volksverhetzung erfülle.

In der zweiten Sache hatte das Oberlandesgericht über die Sprungrevision der Staatsanwaltschaft gegen ein vom Vorwurf der Volksverhetzung freisprechendes Urteil des Amtsgerichts Eschwege zu entscheiden. Mit der Anklage wurde einem islamistischen Prediger vorgeworfen, in einem Beitrag auf dem You-Tube-Channel „Im Auftrag des Islam TV“ 2018 gegenüber Personen, die er überwiegend als „Zionisten“ bezeichne, diverse verleumderische und ggf. rassistische Behauptungen aufgestellt zu haben. Zu diesen Behauptungen gehörte ua., dass diese die nichtjüdische Bevölkerung über große Lebensmittelkonzerne durch die Beimischung von Emulgatoren vergiften wollten, während sie selbst koscher essen und dadurch die angeblichen Giftstoffe vermeiden würden.

Das Oberlandesgericht hat auf die Revision hin das Urteil aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückgewiesen. Das Urteil leide bereits an einem Darstellungsmangel, so der das Oberlandesgericht. Die Urteilsgründe enthielten keine Ausführungen, wie der Anklagevorwurf in den tatsächlichen Einzelheiten laute. Das Oberlandesgericht wies zugleich darauf hin, dass sich das Amtsgericht in der neuen Hauptverhandlung auch mit der Frage wird befassen müssen, ob sich die Beschimpfungen gegen eine im Sinne von § 130 StGB a. F. ausreichend abgrenzbare, etwa religiöse, Gruppe richteten. Das könnte bei Angriffen gegen „die“ Juden der Fall sein. Bei Angriffen gegen einzelne; vom Angeklagten den „Zionisten“ zugerechnete Personen könnte es daran fehlen, zumal der Angeklagte offenbar einen völlig kruden, nicht abgrenzbaren, Begriff der „Zionisten“ verwende. Dabei sei neben dem Wortlaut einer Äußerung auch ihr objektiver Sinngehalt entscheidend. Ergebe die Auslegung einer Erklärung aus objektiver Sicht eines unvoreingenommenen Dritten, dass der Erklärende den Begriff „Juden“ nur deshalb vermeide, weil er Strafbarkeit befürchte, seinen Zuhörern aber unmissverständlich vermittele, dass er nicht nur eine nicht abgrenzbare kleine Teilmenge, sondern „die Juden“ meine, sei er auch an diesem Sinngehalt festzuhalten. Der Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 StGB erfasse nicht nur ausdrückliche, sondern auch konkludente Äußerungen. Kämen allerdings mehrere Interpretationen der Äußerung ernsthaft in Betracht, gebiete es die in Art. 5 GG geschützte Meinungsfreiheit und der Grundsatz „in dubio pro reo“, diejenige Auslegung zu Grunde zu legen, bei der es deshalb am Tatbestand der Volksverhetzung fehle, weil die entsprechende ggf. rassistische Bemerkung sich nicht gegen eine ausreichend abgrenzbare Personengruppe richte.

Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, Urteile vom 30. November 2022 – 3 Ss 131/22 und 3 Ss 123/22

  1. insbesondere nicht § 130 Abs. 1 StGB a. F.[]