Unlautere Werbung – Geschäftsinteressen und die Pressefreiheit

In den Schutzbereich der Pressefreiheit sind nicht nur Presseerzeugnisse im herkömmlichen Sinne einbezogen, sondern auch Zeitschriften, die neben Werbung zumindest auch unterhaltende Beiträge wie Horoskope, Rätsel oder Prominentenporträts enthalten.

Der Schutzumfang der Pressefreiheit ist umso geringer, je weniger ein Presseerzeugnis der Befriedigung eines Informationsbedürfnisses von öffentlichem Interesse oder der Einwirkung auf die öffentliche Meinung dient und je mehr es eigennützige Geschäftsinteressen wirtschaftlicher Art verfolgt. Danach kann sich ein Presseunternehmen grundsätzlich nicht mit Erfolg auf die Grundsätze der eingeschränkten Haftung der Presse für wettbewerbswidrige (hier im Sinne von § 5 UWG irreführende) Werbeanzeigen Dritter berufen, wenn die fragliche Zeitschrift keinen nennenswerten meinungsbildenden Bezug hat, sondern nahezu ausschließlich Werbung enthält.

Bei der Veröffentlichung der Werbeanzeigen handelt es sich um eine geschäftliche Handlung.

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG ist eine geschäftliche Handlung jedes Verhalten zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt.

Eine geschäftliche Handlung ist gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 UWG irreführend, wenn sie zur Täuschung geeignete Angaben über wesentliche Merkmale der Ware enthält. Dazu gehören auch die Ergebnisse von Warentests. Für die Beurteilung, ob eine geschäftliche Handlung irreführend ist, kommt es darauf an, welchen Gesamteindruck sie bei den maßgeblichen Verkehrskreisen hervorruft. Sie ist irreführend, wenn das Verständnis, das sie bei den angesprochenen Verkehrskreisen erweckt, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt1.

Für die Frage, wie eine Werbung verstanden wird, ist die Sichtweise des durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers maßgebend, der einer Werbung die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt2. Der Grad seiner Aufmerksamkeit ist von der jeweiligen Situation und vor allem von der Bedeutung abhängig, die die beworbenen Waren für ihn haben. Bei geringwertigen Gegenständen des täglichen Bedarfs oder beim ersten Durchblättern von Werbebeilagen oder Zeitungsanzeigen ist seine Aufmerksamkeit regelmäßig eher gering, so dass er die Werbung eher flüchtig zur Kenntnis nehmen wird3.

Schuldner der in § 8 UWG geregelten Abwehransprüche ist jeder, der durch sein Verhalten den objektiven Tatbestand einer Zuwiderhandlung im Sinne von §§ 3, 7 UWG selbst, durch einen anderen oder gemeinschaftlich mit einem anderen adäquat kausal verwirklicht. Im Falle der Verbreitung wettbewerbswidriger Äußerungen in Medien haftet neben dem Urheber der Äußerung jeder an der Weitergabe und der Verbreitung Beteiligte, soweit sein Verhalten wie im Streitfall rechtsfehlerfrei festgestellt eine geschäftliche Handlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG darstellt4.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haftet ein Presseunternehmen für die Veröffentlichung gesetzwidriger Werbeanzeigen Dritter nur, wenn es gegen seine Pflicht zur Prüfung verstoßen hat, ob die Veröffentlichung der Anzeigen gegen gesetzliche Vorschriften verstößt. Bei dem Umfang der Prüfungspflicht ist zu berücksichtigen, dass die Beurteilung von Anzeigen bei der Veröffentlichung unter dem Gebot der raschen Entscheidung steht. Um die Arbeit von Presseunternehmen nicht über Gebühr zu erschweren und die Verantwortlichen nicht zu überfordern, besteht daher mit Blick auf die Gewährleistung der Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG nur eine eingeschränkte Prüfungspflicht. Sie beschränkt sich auf grobe und unschwer erkennbare Rechtsverstöße5.

Die Anwendung der Grundsätze der eingeschränkten Prüfungspflicht der Presse kann allerdings nicht allein mit der Begründung verneint werden, bei der Zeitschrift (hier: „TIP der Woche“ der Kaufland-Gruppe) handele es sich nicht um ein klassisches Presseerzeugnis, sondern um ein Werbeblatt.

Maßgeblich für die eingeschränkte Prüfungspflicht der Presse ist die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Pressefreiheit6, die der Presse als Institution zukommt und auch den Anzeigenteil eines Presseorgans umfasst7. Der Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gebührt nicht nur Presseerzeugnissen im herkömmlichen Sinne8. Die grundrechtliche Garantie der Pressefreiheit gilt vielmehr auch für Kundenzeitschriften9 und für Anzeigenblätter, die hauptsächlich Werbeanzeigen und zu einem geringeren Anteil redaktionelle Beiträge enthalten10.

Danach fällt das hier streitgegenständliche Werbeblatt in den Schutzbereich der Pressefreiheit. Bei dem Werbeblatt handelt es sich nicht um einen reinen Werbeprospekt. Es enthält zwar vor allem Werbung für in den Kaufland-Märkten erhältliche Produkte. Daneben enthält es aber auch unterhaltende Beiträge wie Horoskope, Rätsel oder Prominentenporträts.

Allerdings steht die Zeitschrift „TIP der Woche“ in Bezug auf ihren presserechtlichen Schutz einem (reinen) Werbeprospekt gleich.

Der Schutzumfang der Pressefreiheit ist umso geringer, je weniger ein Presseerzeugnis der Befriedigung eines Informationsbedürfnisses von öffentlichem Interesse oder der Einwirkung auf die öffentliche Meinung dient und je mehr es eigennützige Geschäftsinteressen wirtschaftlicher Art verfolgt11. Danach kann sich ein Presseunternehmen grundsätzlich nicht mit Erfolg auf eine eingeschränkte Haftung für gesetzwidrige Werbeanzeigen Dritter berufen, wenn die fragliche Zeitschrift keinen nennenswerten meinungsbildenden Bezug hat, sondern nahezu ausschließlich Werbung enthält.

Nach diesen Maßstäben ist es für den Bundesgerichtshof aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass die Kaufland-Zeitschrift „TIP der Woche“ in Bezug auf ihren presserechtlichen Schutz einem (reinen) Werbeprospekt gleichgestellt wird. Die Zeitschrift weist keinen meinungsbildenden Bezug, sondern eine fast durchweg kommerzielle Ausrichtung auf. Sie wird von Werbeanzeigen beherrscht und nur zu dem Zweck herausgegeben, die Leser zu bewegen, „im Kaufland einzukaufen“. Die unterhaltenden Bestandteile der Zeitschrift treten in ihrem Umfang und ihrer Bedeutung dahinter zurück. Unter diesen Umständen kann sich die Herausgeberin nicht auf die eingeschränkte Prüfungspflicht von Presseunternehmen berufen.

Eine eingeschränkte Verantwortlichkeit der Herausgeberin folgt auch nicht daraus, dass es sich bei der Veröffentlichung von Werbeanzeigen um ein Massengeschäft handelt.

Der Bundesgerichtshof hat das Erfordernis einer eingeschränkten Pressehaftung allerdings auch damit begründet, dass Presseunternehmen regelmäßig unter Zeitdruck stehen und eine umgehende Überprüfung sämtlicher Anzeigen auf Gesetzesverstöße die Arbeit der Presse unzumutbar erschweren würde12.

Bei dem Werbeblatt „TIP der Woche“ handelt es sich jedoch nicht um ein der aktuellen Berichterstattung verpflichtetes Presseerzeugnis. Die Herausgeberin kann sich daher nicht mit Erfolg darauf berufen, sie stehe als Herausgeberin dieses Blattes bei der Bearbeitung der Anzeigenaufträge unter dem Gebot einer raschen Entscheidung.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 5. Februar 2015 – I ZR 136/13

  1. BGH, Urteil vom 06.11.2013 – I ZR 104/12, GRUR 2014, 88 Rn. 30 = WRP 2014, 57 – Vermittlung von Netto-Policen, mwN[]
  2. st. Rspr.; vgl. nur Urteil vom 30.06.2011 – I ZR 157/10, GRUR 2012, 184 Rn.19 = WRP 2012, 194 – Branchenbuch Berg; Urteil vom 08.03.2012 – I ZR 202/10, GRUR 2012, 1053 Rn.19 = WRP 2012, 1216 Marktführer Sport[]
  3. BGH, Urteil vom 20.10.1999 – I ZR 167/97, GRUR 2000, 619, 621 = WRP 2000, 517 – Orient-Teppichmuster; Urteil vom 02.10.2003 – I ZR 150/01, BGHZ 156, 250, 252 f. – Marktführerschaft; Urteil vom 11.12 2003 – I ZR 50/01, GRUR 2004, 605, 606 = WRP 2004, 735 Dauertiefpreise[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2011 – I ZR 183/09, GRUR 2011, 340 Rn. 27 = WRP 2011, 459 Irische Butter, mwN[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 26.04.1990 – I ZR 127/88, GRUR 1990, 1012, 1014 = WRP 1991, 19 – Pressehaftung I; Urteil vom 07.05.1992 – I ZR 119/90, GRUR 1992, 618, 619 Pressehaftung II; Urteil vom 09.11.2000 – I ZR 167/98, GRUR 2001, 529, 531 = WRP 2001, 531 Herz-Kreislauf-Studie; Urteil vom 14.06.2006 – I ZR 249/03, GRUR 2006, 957 Rn. 14 = WRP 2006, 1225 Stadt Geldern; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl., § 9 Rn.02.3; Bergmann/Goldmann in Harte/Henning, UWG, 3. Aufl., § 8 Rn. 102[]
  6. BGH, GRUR 1990, 1012, 1014 – Pressehaftung I; GRUR 1992, 618, 619 Pressehaftung II[]
  7. vgl. BVerfGE 21, 271, 278 Südkurier; BVerfG, GRUR 2001, 170, 172[]
  8. vgl. BGH, Urteil vom 18.12 1968 – I ZR 113/66, BGHZ 51, 236, 246 f. – Stuttgarter Wochenblatt I[]
  9. vgl. BVerwGE 78, 184, 189; OLG Hamburg, PharmR 2009, 136, 137[]
  10. vgl. BGHZ 51, 236, 238 f. und 246 f. – Stuttgarter Wochenblatt I; BGH, Urteil vom 12.11.1991 KZR 18/90, BGHZ 116, 47, 54 Amtsanzeiger; Urteil vom 20.11.2003 – I ZR 151/01, BGHZ 157, 55, 62 – 20 Minuten Köln; Urteil vom 26.01.2006 – I ZR 121/03, GRUR 2006, 429, 431 = WRP 2006, 584 Schlank-Kapseln[]
  11. vgl. BGHZ 116, 47, 54 Amtsanzeiger; Köhler in Köhler/Bornkamm aaO § 3 Rn. 83; zu Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG Ahrens in Harte/Henning aaO Einl G Rn. 76[]
  12. vgl. BGH, GRUR 1990, 1012, 1014 – Pressehaftung I; GRUR 2006, 957 Rn. 14 – Stadt Geldern[]