Presserechtliches Zeugnisverweigerungsrecht vor den Verwaltungsgerichten
Einem Journalisten steht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich kein Zeugnisverweigerungsrecht hinsichtlich eigener (berufsbezogener) Wahrnehmungen zu.
In dem hier vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg entschiedenen Fall hatte das Verwaltungsgericht zum gleichen Thema bereits mehrere andere Zeugen über ihre jeweils eigenen Eindrücke vernommen. Nun sollte auch der Pressevertreter als Zeuge über eigene Wahrnehmungen und nicht als Zeuge vom Hörensagen über die Wahrnehmung Dritter aussagen.
Insoweit steht ihm nach Ansicht des OVG Lüneburg nach dem Wortlaut des gemäß § 98 VwGO entsprechend anwendbaren, hier allein in Betracht kommenden § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO ersichtlich kein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Das dort geregelte Weigerungsrecht beschränkt sich auf die u.a. einem Redakteur im Hinblick auf seine Tätigkeit gemachte Mitteillungen Dritter, schließt aber eigene (berufsbezogene) Wahrnehmungen nicht ein.
Die insoweit weitergehende Regelung des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Satz 2 und 3 StPO ist auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren nicht im Wege der Analogie übertragbar. Es fehlt schon die dafür erforderliche planwidrige Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat im Jahr 2002 durch das Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung1 das bis dahin2 bundeseinheitlich in den Verfahrensordnungen normierte Zeugnisverweigerungsrecht bewusst nur für das Strafverfahrensrecht erweitert und damit zugleich das entsprechende strafprozessuale Beschlagnahmerecht begrenzt, aber weder damals noch seitdem die dadurch bedingten Unterschiede in den Verfahrensordnungen verkannt. Zudem mangelt es auch an der für eine Analogie weiterhin erforderlichen Ähnlichkeit der Regelungsbereiche. Das auf selbst recherchiertes Material erweiterte strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht besteht nämlich nach § 53 Abs. 1 und 2 StPO nicht umfassend. Vielmehr unterliegt es den Schranken des § 53 Abs. 2 Satz 2 StPO, von denen wiederum in Satz 3 eine teilweise Rückausnahme enthalten ist. Die Ausnahme in Satz 2 stellt u.a. darauf ab, ob die Aussage des Betroffenen zur Aufklärung eines Verbrechens oder enumerativ genannter Vergehen beitragen soll. Die Aufklärung von Straftaten ist jedoch grundsätzlich nicht Aufgabe des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Ebenso wenig lässt sich aus der Aufzählung in § 53 Abs. 2 Satz 2 StPO sonst ein klarer und handhabbarer Maßstab für die Frage entnehmen, welchen verwaltungsgerichtlichen Verfahren bei einer entsprechenden Anwendung ggf. eine so hohe Bedeutung beizumessen wäre wie der Aufklärung von Verbrechen oder den genannten Vergehen im Strafverfahren. Schließlich ginge auch die Annahme fehl, verwaltungsgerichtlichen Verfahren komme generell nur ein so geringes Gewicht zu, dass bei entsprechender Anwendung des § 53 Abs. 2 Satz 2 StPO stets ein Verweigerungsrecht zu bejahen sei. Ob einer analogen Anwendung der Norm zusätzlich entgegensteht, dass sie bereits für den ausdrücklich geregelten Bereich des Strafverfahrens zu weit gehe3, kann deshalb offen bleiben.
Es überschreitet den Rahmen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung, das presserechtliche Zeugnisverweigerungsrecht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren über die in § 98 VwGO i. V. m. § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO geregelten Fälle hinaus richterrechtlich selbst generell zu erweitern4. Dagegen spricht zusätzlich , dass das Bundesverfassungsgericht5 „für Presse- und Medienvertreter bereits mehrfach betont hat, dass ein genereller und keiner Abwägung unterliegender Schutz gegenüber strafprozessualen Maßnahmen nicht in Betracht kommt, weil bei der Gewichtung der Medienfreiheit im Verhältnis zu dem Gebot funktionstüchtiger Strafrechtspflege keinem der verfolgten Interessen abstrakt ein eindeutiger Vorrang gebührt. Der Gesetzgeber ist weder gehalten, noch steht es ihm frei, der Presse- und Rundfunkfreiheit den absoluten Vorrang vor anderen wichtigen Rechtsgütern einzuräumen, wie etwa dem hier in Rede stehenden Gebot der Wahrheitserforschung im Strafprozess“. Dieser Grundsatz steht auch der sinngemäß vom Pressevertreter vertretenen Annahme entgegen, Medienvertretern stehe in verwaltungsgerichtlichen Verfahren generell ein Recht zur Zeugnisverweigerung u.a. hinsichtlich berufsbezogener eigener Wahrnehmungen zu.
Ob stattdessen eine dahingehende Erweiterung des Zeugnisverweigerungsrechts im Einzelfall zur Wahrung der Pressefreiheit geboten sein kann und möglich ist, braucht vorliegend nicht geklärt zu werden. Denn ein solcher Fall ist nicht gegeben. Der Pressevertreter soll zu der Frage aussagen, ob er die auf der Versammlung der Klägerin gehaltenen Redebeiträge akustisch wahrnehmen konnte. Die Frage nach der Wahrnehmbarkeit der Redebeiträge ist in einem mit seinem Namenskürzel versehenen Bericht in der Landeszeitung mit den Worten (verneinend) beantwortet worden, „die Reden der NPD-Funktionäre gingen unter“. Beruht diese Angabe auf eigenen Wahrnehmungen des Pressevertreters, so hat er gerichtlich nur das zu bestätigen, was unter seinem Namen bereits veröffentlich worden ist. In der Pflicht, als Zeuge eine Aussage zu bestätigen oder auch inhaltlich zu widerrufen, die der betroffene Pressevertreter bereits zuvor öffentlich gemacht hat, ist keine Verletzung der Pressefreiheit zu erkennen; auf die Frage, wem die Angabe jeweils dient, kommt es dabei nicht an6. Dass § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO kein Zeugnisverweigerungsrecht über die Richtigkeit eines in der Presse schon veröffentlichten Zitats erfasst, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden7. Soweit die Angabe in dem Bericht der Landeszeitung vom 17.01.2013 hingegen nur eine Aussage von Hörensagen darstellt und nicht auf eigener Wahrnehmung durch den Kläger beruht, er sich auch sonst nicht erinnern kann, kann er hierauf verweisen. Dass das Gericht dann vom Kläger ggf. weitere, nach § 98 VwGO i. V. m. dem entsprechend anwendbaren § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO geschützte Informationen über diese Dritte, deren Eindrücke er in seinem Artikel wiedergegeben habe, wissen möchte, ist nicht zu erkennen und berechtigte den Kläger im Übrigen auch nur zur Zeugnisverweigerung insoweit, nicht aber – wie dargelegt – zum o.a. Beweisthema.
Ob es auf das Beweisthema und gerade die Aussage des Pressevertreters für die Entscheidung über die Klage ganz oder teilweise überhaupt ankommt und welches Gewicht dieser Aussage zukommen kann, hat nicht das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in diesem Zwischenverfahren, sondern das für das Hauptsacheverfahren zuständige Gericht zu entscheiden. Denn es hat in dem angegriffenen Beschluss mit grundsätzlich bindender Wirkung für das OVG Lüneburg8 die Entscheidungserheblichkeit der weiteren Beweiserhebung bejaht.
Lediglich ergänzend wird deshalb vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht darauf verwiesen, dass die vom Pressevertreter vorgenommene Gewichtung seiner Zeugenaussage vom OVG Lüneburg nicht geteilt wird. Die im Hauptsacheverfahren streitige Frage, ob die kurz vor der Landtagswahl 2013 durchgeführte Veranstaltung der Klägerin als politische Partei durch Lärm von Dritten massiv gestört und hiergegen zu Unrecht von einem der beiden Beklagten nicht eingeschritten worden ist bzw. entsprechende Schutzvorkehrungen nicht getroffen worden sind, ist nicht von geringer Bedeutung. Ebenso wenig besteht für den Pressevertreter durch die Aussagepflicht als Zeuge zukünftig die von ihm heraufbeschworene Gefahr von Übergriffen, wenn er als Zeuge nur die Richtigkeit seines vorherigen Zeitungsberichts bestätigt. Dem Pressevertreter steht nicht das Recht zu, eine Aussage wegen der Befürchtung zu verweigern, sie führe mutmaßlich zu einem von ihm unerwünschten Ergebnis des Klageverfahrens.
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 21. Juli 2014 – 10 OB 49/14
- BGBl. I 2002, S. 682[↩]
- vgl. zur vorherigen Rechtslage die Darstellung bei Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 6. Aufl., 2012, S. 212 f.[↩]
- vgl. insbesondere Kunert, NStZ 2002, 169 ff.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 1.10.1987 – 2 BvR 1434/86, BVerfGE 77, 65 ff. 29[↩]
- Beschluss vom 12.10.2011 – 2 BvR 236/08, 2 BvR 237/08, 2 BvR 422/08, BVerfGE 129, 208 ff. 268, m. w. N[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 4.01.2012 – VI ZB 2/12, NJW-RR 2013, 159 f. 12 ff.; Greger, in: Zöller, ZPO-Kommentar, 30. Aufl., § 383, Rn. 15[↩]
- vgl. den inhaltlich bereits vom Verwaltungsgericht zit. Beschluss d. BVerfG v. 13.09.2001 – 1 BvR 1398/01, NJW 2002, 592 f 9[↩]
- vgl. für das vergleichbare Verhältnis im Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO: BVerwG, Beschluss vom 28.03.2006 – 20 F 1/05 – DVBl 2006, 851 ff.; Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 40 13[↩]




