Broder und die Folgen: Der satirische Fernsehbeitrag und das Recht am eigenen Bild

Aktuell hatte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage der Zulässigkeit eines satirisch gefärbten Fernsehbeitrags über das Streitgespräch eines Journalisten mit einer Teilnehmerin an einer Mahnwache im Hinblick auf das Recht am eigenen Bild und am eigenen Wort zu befassen. Anlass hierzu bot für den Bundesgerichtshof die am 21. November 2010 ausgestrahlte dritte Folge einer fünfteiligen Sendung „Entweder Broder – Die Deutschland-Safari“.

Die Sendereihe wird von der Beklagten selbst als Mischung zwischen „RoadmovieDoku“ und gesellschaftskritischer Satire gesehen. In der genannten Folge der Sendereihe tritt die Klägerin als Mitglied einer Gruppe von drei Frauen in Erscheinung, die sich als „Großmütter gegen den Krieg“ bezeichnen. Sie hatten sich am Nachmittag des 24. Juni 2010 auf dem Pariser Platz in Berlin anlässlich der am 30. Mai 2010 erfolgten israelischen Marineintervention gegen die „Gaza-Solidaritätsflotte“ zu einer gemeinsamen Mahnwache eingefunden. Die Klägerin erschien in der Sendung zwischen den Marken 2:00 min. bis etwa 5:30 min. mehrmals im Bild und mit Ton, wobei sie mit dem Protagonisten der Sendung, dem Journalisten Henryk M. Broder, lebhaft und kontrovers über das Anliegen der Mahnwache sowie allgemein über Fragen des Völkerrechts und der Legitimität militärischer Aktionen diskutierte.

Der Bundesgerichthof sah keinen Anspruch der Teilnehmerin gegen die beklagte Rundfunkanstalt aus § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 22, 23 KUG, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG auf Unterlassung der erneuten Veröffentlichung des beanstandeten Fernsehbeitrages:

Die Zulässigkeit von Bildveröffentlichungen ist nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen1, das sowohl mit verfassungsrechtlichen Vorgaben2 als auch mit der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Einklang steht3. Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Hiervon besteht allerdings gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG eine Ausnahme, wenn es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt. Diese Ausnahme gilt aber nicht für eine Verbreitung, durch die berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG).

Nach diesen Grundsätzen war die von der Teilnehmerin angegriffene Bildberichterstattung in dem Fernsehbeitrag der beklagten Rundfunkanstalt als solche über ein zeitgeschichtliches Ereignis zulässig. Einer (stillschweigenden) Einwilligung der Teilnehmerin bedurfte es im Streitfall deshalb gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG nicht.

Bei den beanstandeten Filmaufnahmen mit der Teilnehmerin handelt es sich um eine Bildberichterstattung aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Schon die Beurteilung, ob Abbildungen Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG sind, erfordert eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK andererseits4. Der für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, maßgebende Begriff des Zeitgeschehens umfasst alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse, insbesondere Vorgänge aus dem Bereich des politischen Meinungskampfes. Ein Informationsinteresse besteht allerdings nicht schrankenlos, vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt5.

Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei den veröffentlichten Aufnahmen mit der Teilnehmerin um eine Bildberichterstattung aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Die Teilnehmerin hat als Mitglied zahlreicher der Friedensbewegung zuzurechnender Organisationen zusammen mit zwei anderen Frauen an einer „Mahnwache“ auf dem Pariser Platz am Brandenburger Tor in Berlin teilgenommen, um gegen die kurz zuvor erfolgte israelische Marineintervention gegen die „GazaSolidaritätsflotte“ zu protestieren. Eine solche Veranstaltung auf einem belebten Platz mit einem politischen Anliegen im Zusammenhang mit einer kurz zuvor erfolgten Militäraktion, die national und international Aufsehen erregt hat, in der Absicht, von einer möglichst breiten Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden und auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken, ist ein zeitgeschichtliches Ereignis. Das Verhalten der Teilnehmerin war Teil dieses zeitgeschichtlichen Ereignisses. Denn sie hat sich an dieser Veranstaltung aktiv beteiligt und vor laufender Kamera mit einem Journalisten lebhaft und kontrovers über ihr Anliegen sowie allgemein über Fragen des Völkerrechts und der Legitimität militärischer Aktionen diskutiert. Hierüber darf die Presse grundsätzlich auch ohne Einwilligung der Teilnehmerin gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG mit Bildaufnahmen berichten.

Durch die Verbreitung dieser Aufnahmen werden berechtigte Interessen der Teilnehmerin im Sinne des § 23 Abs. 2 KUG nicht verletzt.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war die Teilnehmerin vor dem Zustandekommen der Aufnahmen im Zusammenhang mit ihrer Mahnwache als Mitglied zahlreicher der Friedensbewegung zuzurechnender Organisationen als Regisseurin und Produzentin zweier Dokumentarfilme („Europa in schlechter Verfassung“, „Venezuela in guter Verfassung“) und auch publizistisch zu verschiedenen politischen Themen in Erscheinung getreten. Das veröffentlichte Streitgespräch zwischen ihr und dem Journalisten steht im unmittelbaren thematischen Bezug mit dem von ihr im Zusammenhang mit der „Mahnwache“ vertretenen Standpunkt gegen die erfolgte israelische Militärintervention. Die Veröffentlichung eines von der Teilnehmerin im Zusammenhang mit der von ihr mitveranstalteten „Mahnwache“ vor laufender Kamera mit einem Journalisten geführten Streitgesprächs im Fernsehen entspricht dem im allgemeinen zu erwartenden Zweck der Aufnahme und damit dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge. Da sich der Journalist in dieser Diskussion nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kritisch und ablehnend mit ihrer Haltung auseinandersetzt, die Teilnehmerin vor laufender Kamera fortgesetzt in ihrer Rede unterbricht und ihr dabei durchgehend widerspricht, um ihr sodann Unkenntnis der geschichtlichen Zusammenhänge vorzuhalten, musste die Teilnehmerin damit rechnen, dass die Darstellung ihres Verhaltens Gegenstand einer kritischen Dokumentation sein kann. Bei der von ihr als engagierte Friedensaktivistin geführten Auseinandersetzung muss die Teilnehmerin aber im politischen Meinungskampf auch hieran anknüpfende satirische Bemerkungen hinnehmen6. Die satirische Auseinandersetzung in dem ausgestrahlten Fernsehbeitrag überschreitet inhaltlich nicht die Grenzen des Zulässigen und Zumutbaren. Insbesondere sind Anhaltspunkte für eine Schmähkritik nicht ersichtlich und werden von der Teilnehmerin auch nicht geltend gemacht.

Eine Verletzung berechtigter Interessen liegt auch nicht darin begründet, dass sich Herr Broder nicht darauf beschränkt hat, in dem von ihm geführten Interview den Standpunkt der Teilnehmerin wiederzugeben, sondern es dazu benutzt hat, seine eigene Meinung in Form einer „Gegendemonstration“ zu der von der Teilnehmerin und den beiden anderen Frauen gebildeten „Mahnwache“ für eine satirisch gefärbte Sendung darzustellen. Dies muss die Teilnehmerin in dem von ihr geführten politischen Meinungskampf hinnehmen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts7 und des Bundesgerichtshofs8 hat niemand einen Anspruch darauf, von anderen nur so dargestellt zu werden, wie er sich selbst sieht oder gesehen werden möchte. Wer sich anlässlich einer „Mahnwache“ mit einem Journalisten vor laufender Kamera auf ein beiderseits engagiert geführtes Streitgespräch über sein politisches Anliegen einlässt und dadurch an herausgehobener Stelle aktiv am öffentlichen Meinungsbildungsprozess über ein außenpolitisches Ereignis teilnimmt, muss sich – wie bereits ausgeführt – grundsätzlich eine kritische und auch satirisch gefärbte Auseinandersetzung mit seinem Standpunkt in einem daraufhin veröffentlichten Fernsehbeitrag gefallen lassen9.

Auch das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht am gesprochenen Wort als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Teilnehmerin ist nicht verletzt.

In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass das Grundgesetz neben dem Recht am eigenen Bild auch das Recht am gesprochenen Wort schützt10. Dieses gewährleistet die Selbstbestimmung über die eigene Darstellung der Person in der Kommunikation mit anderen11. Der Schutz umfasst die Möglichkeit, sich in der Kommunikation nach eigener Einschätzung situationsangemessen zu verhalten und sich auf die jeweiligen Kommunikationspartner einzustellen. Zum Grundrecht gehört die Befugnis selbst zu bestimmen, ob der Kommunikationsinhalt einzig dem Gesprächspartner, einem bestimmten Personenkreis oder der Öffentlichkeit zugänglich sein soll12. Das Selbstbestimmungsrecht erstreckt sich also auf die Auswahl der Personen, die Kenntnis vom Gesprächsinhalt erhalten sollen. Verhält ein Sprecher sich allerdings so, dass seine Worte von unbestimmt vielen Menschen ohne besondere Bemühungen gehört werden können, hat er sich das Zuhören Dritter selbst zuzuschreiben. Er ist gegen deren Kommunikationsteilhabe nicht geschützt13.

Der vorbeschriebene Schutzbereich des Rechts am eigenen Wort ist im Streitfall nicht eröffnet. Denn die Teilnehmerin führte das Streitgespräch mit dem Interviewer Broder im öffentlichen Raum, nämlich im Zusammenhang mit einer „Mahnwache“ auf dem Pariser Platz in Berlin vor laufender Kamera. Sie sprach in ein Aufnahmemikrofon. Ihr kam es auch darauf an, mit Wirkung in die Öffentlichkeit der Kritik des Journalisten entgegen zu treten. Auf Grund dieser Rahmenbedingungen durfte sie nicht begründetermaßen erwarten, nicht von Dritten gehört zu werden.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. Juni 2013 – VI ZR 209/12

  1. vgl. grundlegend BGH, Urteile vom 06.03.2007 – VI ZR 51/06, BGHZ 275, 278 Rn. 9 ff.; vom 18.10.2011 – VI ZR 5/10, VersR 2012, 116 Rn. 8 f.; vom 22.11.2011 – VI ZR 26/11, VersR 2012, 192 Rn. 23 f.; vom 18.09.2012 – VI ZR 291/10, VersR 2012, 1403 Rn. 26 f. und vom 28.05.2013 – VI ZR 125/12; jeweils mwN[]
  2. vgl. BVerfGE 120, 180, 201 ff.[]
  3. vgl. EGMR, NJW 2012, 1053, 1056 ff.[]
  4. vgl. etwa BGH, Urteil vom 13.04.2010 – VI ZR 125/08, NJW 2010, 3025 Rn. 12 und vom 28.05.2013 – VI ZR 125/12[]
  5. vgl. BGH, Urteile vom 01.07.2008 – VI ZR 67/08, VersR 2008, 1411 Rn. 13 und VI ZR 243/06, VersR 2008, 1506 f.; und vom 28.05.2013 – VI ZR 125/12[]
  6. vgl. BVerfG, NJW 2002, 3767, 3768[]
  7. BVerfGE 101, 361, 380; 120, 180, 198; NJW 2000, 2191, 2192[]
  8. BGH, Urteil vom 26.10.2010 – VI ZR 230/08, WRP 2011, 70, 72[]
  9. vgl. BGH, Urteil vom 12.10.1993 – VI ZR 23/93, VersR 1994, 57, 58 f.[]
  10. vgl. BVerfGE 34, 238, 246 f.; 54, 148, 154; 106, 28, 39[]
  11. vgl. BVerfGE 54, 148, 155[]
  12. vgl. BVerfGE 106, 28, 39 mwN[]
  13. vgl. BVerfGE 106, 28, 40[]