Cutter beim Fernsehen – Arbeitnehmer oder freie Mitarbeiter?
Auch bei nicht programmgestaltenden Mitarbeitern von Rundfunkanstalten ist die Arbeitnehmereigenschaft anhand der allgemeinen Kriterien für die Abgrenzung zwischen einem Arbeitsverhältnis und einem freien Dienstvertrag zu prüfen.
In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall ist die Klägerin seit dem Jahr 2001 bei der beklagten Rundfunkanstalt als Cutterin im Bereich Bearbeitung/Editing der Hauptabteilung Produktionsbetrieb Fernsehen beschäftigt. Sie erhielt für ihre Tätigkeit jeweils eine Tagesgage.
Die Rundfunkanstalt hält für die bei ihr regelmäßig anfallenden Bildschneidearbeiten entsprechende Dienste von Cuttern vor, die in Schneideräumen der Rundfunkanstalt eingesetzt werden und auf deren Tätigkeit Autoren, Reporter usw. zurückgreifen können. Zu diesem Zweck erstellt die Beklagte Dienstpläne, durch die entsprechende Arbeitskapazitäten zu bestimmten Zeiten (Schichten) gewährleistet sind. Für die durch fest angestellte Cutter nicht gedeckten Zeiten fragt die Beklagte telefonisch die Bereitschaft zur Übernahme der freien Schichten in einem Kreis von Cuttern ab, die von der Rundfunkanstalt als freie Mitarbeiter angesehen werden. Zu diesem Kreis gehört auch die Klägerin. Die Klägerin kann die ihr regelmäßig angebotenen Einsätze ablehnen und machte von der Ablehnungsmöglichkeit gelegentlich, wenn auch nicht häufig, Gebrauch.
Die Klägerin arbeitet in den Räumen der Rundfunkanstalt mit den jeweils für den zu erstellenden Bildbeitrag Verantwortlichen und technischen Mitarbeitern zusammen. Sie benutzt dabei die am Arbeitsort in den Räumen der Rundfunkanstalt installierten technischen Vorrichtungen.
Das Bundesarbeitsgericht beurteilte dies – wie zuvor bereits Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht München1 – als bestehendes Arbeitsverhältnis:
Bestehender Arbeitsvertrag
Die Cutterin ist mit der Rundfunkanstalt durch einen unbefristeten Arbeitsvertrag, gerichtet auf die Leistung von Diensten als Cutterin, verbunden.
Die Cutterin stand der Rundfunkanstalt seit dem Jahr 2001 dauerhaft zur Leistung von Diensten als Cutterin zur Verfügung. Die Parteien haben den dem Leistungsaustausch zugrunde liegenden Vertrag nicht durch Abgabe ausdrücklicher übereinstimmender Willenserklärungen abgeschlossen. Ein Vertrag kann jedoch durch übereinstimmendes schlüssiges Verhalten (Realofferte und deren konkludente Annahme) zustande kommen2. So liegt es hier. Die Parteien haben über einen Zeitraum von mehreren Jahren einvernehmlich Dienstleistung und Vergütung ausgetauscht. Die Cutterin war nach Anforderung der Rundfunkanstalt als Cutterin tätig und die Rundfunkanstalt hat ihr dafür Vergütung gezahlt und weitere vertragliche Leistungen erbracht. Zwischen den Parteien bestand damit ein Dienstvertrag iSd. § 611 BGB3. Davon geht auch die Rundfunkanstalt aus. Allerdings handelte es sich nicht, wie die Rundfunkanstalt meint, um einen freien Dienstvertrag, sondern um einen Arbeitsvertrag. Die entsprechende Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von den rechtlichen Grundsätzen ausgegangen, die das Bundesarbeitsgericht zur Abgrenzung eines Arbeitsverhältnisses von dem Rechtsverhältnis eines freien Dienstnehmers aufgestellt hat.
Hiernach unterscheiden sich beide durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der zur Dienstleistung Verpflichtete befindet. Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 HGB). Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls in Betracht zu ziehen und in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Die zwingenden gesetzlichen Regelungen für Arbeitsverhältnisse können nicht dadurch abbedungen werden, dass die Parteien ihrem Arbeitsverhältnis eine andere Bezeichnung geben. Der objektive Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist letztere maßgebend4.
Diese Grundsätze sind auch im Bereich Funk und Fernsehen anzuwenden5, wobei der verfassungsrechtliche Schutz der Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu beachten ist. Allgemein müssen die Gerichte Grundrechte interpretationsleitend berücksichtigen, damit deren wertsetzender Gehalt auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt6. Das verlangt im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG in der Regel eine fallbezogene Abwägung zwischen der Bedeutung der Rundfunkfreiheit auf der einen und dem Rang der von den Normen des Arbeitsrechts geschützten Rechtsgüter auf der anderen Seite7. Die Rundfunkfreiheit erstreckt sich auf das Recht der Rundfunkanstalten, dem Gebot der Vielfalt der zu vermittelnden Programminhalte auch bei der Auswahl, Einstellung und Beschäftigung derjenigen Mitarbeiter Rechnung zu tragen, die bei der Gestaltung der Programme mitwirken sollen8. Es ist von Verfassungs wegen nicht ausgeschlossen, auch im Rundfunkbereich von den für das Arbeitsrecht allgemein entwickelten Merkmalen abhängiger Arbeit auszugehen9. Allerdings muss das durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Recht der Rundfunkanstalten, frei von fremder Einflussnahme über die Auswahl, Einstellung und Beschäftigung programmgestaltender Mitarbeiter zu bestimmen, angemessen berücksichtigt werden. Eine Beeinträchtigung kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Betracht, wenn die verfügbaren Vertragsgestaltungen – wie Teilzeitbeschäftigungs- oder Befristungsabreden, zur Sicherung der Aktualität und Flexibilität der Berichterstattung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht nicht in gleicher Weise geeignet sind wie die Beschäftigung in freier Mitarbeit10.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist als „programmgestaltend“ der Kreis derjenigen Rundfunkmitarbeiter anzusehen, „die an Hörfunk- und Fernsehsendungen inhaltlich gestaltend mitwirken. Das gilt namentlich, wenn sie typischerweise ihre eigene Auffassung zu politischen, wirtschaftlichen, künstlerischen oder anderen Sachfragen, ihre Fachkenntnisse und Informationen, ihre individuelle künstlerische Befähigung und Aussagekraft in die Sendung einbringen, wie dies bei Regisseuren, Moderatoren, Kommentatoren, Wissenschaftlern und Künstlern der Fall ist.“ Nicht zu den programmgestaltenden Mitarbeitern gehören das betriebstechnische und das Verwaltungspersonal sowie diejenigen, die zwar bei der Verwirklichung des Programms mitwirken, aber keinen inhaltlichen Einfluss darauf haben11.
Auch bei programmgestaltenden Mitarbeitern kann entgegen der ausdrücklich getroffenen Vereinbarung ein Arbeitsverhältnis vorliegen, wenn sie weitgehenden inhaltlichen Weisungen unterliegen, ihnen also nur ein geringes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und Selbstständigkeit verbleibt, und der Sender innerhalb eines zeitlichen Rahmens über ihre Arbeitsleistung verfügen kann. Letzteres ist dann der Fall, wenn ständige Dienstbereitschaft erwartet wird oder wenn der Mitarbeiter in nicht unerheblichem Umfang auch ohne entsprechende Vereinbarung durch Dienstpläne herangezogen wird, ihm also die Arbeiten letztlich zugewiesen werden12.
Bei nicht programmgestaltenden Mitarbeitern von Rundfunkanstalten ist die Arbeitnehmereigenschaft anhand der allgemeinen Kriterien zu prüfen. Auch sie können je nach Lage des Falls freie Mitarbeiter sein. Das Bundesarbeitsgericht hat verschiedentlich ausgeführt, nicht programmgestaltende Tätigkeit in Rundfunkanstalten lasse sich regelmäßig nur in Arbeitsverhältnissen ausführen13. Soweit darin die Aufstellung einer verbindlichen rechtlichen Regel zu sehen wäre, hält das Bundesarbeitsgericht daran nicht fest. In Wahrheit handelte es sich bei jener Aussage nicht um einen Rechtssatz in dem Sinne, dass mit dem Fehlen der programmgestaltenden Qualität eines Rundfunkmitarbeiters zugleich dessen Status als Arbeitnehmer feststünde und es entbehrlich wäre, die Arbeitnehmereigenschaft von nicht programmgestaltenden Mitarbeitern anhand der allgemeinen Kriterien zu überprüfen. Vielmehr ist die genannte Aussage lediglich als Hinweis auf einen Erfahrungswert zu verstehen: So werden nicht programmgestaltende Mitarbeiter häufiger die Kriterien eines Arbeitnehmers erfüllen, als es bei programmgestaltenden Mitarbeitern zu erwarten ist.
An der Unterscheidung zwischen programmgestaltender und nicht programmgestaltender Tätigkeit in diesem Sinne hält das Bundesarbeitsgericht fest. Die Unterscheidung ist deswegen von Bedeutung, weil bestimmte Gegebenheiten je nachdem, ob es sich um programmgestaltende Mitarbeiter handelt oder nicht, unterschiedlichen Aussagewert im Hinblick auf den Arbeitnehmerstatus haben können. Die rechtliche Differenzierung findet ihre Grundlage in erheblichen tatsächlichen Unterschieden der Arbeit in einer Rundfunkanstalt. So wird die zeitliche und räumliche Einbindung bei programmgestaltenden Mitarbeitern oft nicht ohne Weiteres als Hinweis auf eine Leistung in persönlicher Abhängigkeit gewertet werden können. Es ist zB ein Unterschied, ob ein Mitarbeiter als Nachrichtentechniker in einem Tonarchiv zu festgelegten Zeiten ihm vorgeschriebene archivarische Leistungen zu erbringen hat oder ob er sich zu bestimmten Zeiten in einem Studio einzufinden und dort humoristische Beiträge individuell extemporierend zu gestalten hat, die für das Programm derart prägend sind, dass in der öffentlichen Wahrnehmung der Sender mit der Stimme des Sprechers nachgerade identifiziert wird14.
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, dass die Parteien in einem Arbeitsverhältnis zueinander stehen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte widerspruchsfrei und vollständig berücksichtigt. Es hat überdies die erforderliche Gesamtwürdigung der in Betracht kommenden Tatsachen vorgenommen.
Die Cutterin ist nicht programmgestaltende Mitarbeiterin der Rundfunkanstalt. Ihr Einfluss auf den Inhalt der ausgestrahlten Beiträge ist gering. Sie kann weder die Themen bestimmen noch das zu bearbeitende Bild- und Tonmaterial. Beides wird vorgegeben. Aus dem Bild- und Tonmaterial muss eine Auswahl getroffen werden, die aber im Wesentlichen durch das Thema, die vorgegebene Länge des Beitrags und die Vorstellung des jeweiligen Redakteurs oder Autors von der zu übermittelnden „Botschaft“ geprägt ist, nicht aber von inhaltlichen Vorstellungen oder vom Formwillen der Cutterin. Dass und in welcher Form die Cutterin auch nur einen der von ihr bearbeiteten Beiträge maßgeblich nach eigenen ästhetischen oder inhaltlichen Konzepten gestaltet hätte, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Wenn auch die Tätigkeit einer Cutterin künstlerische Fähigkeiten voraussetzt, so ist sie doch nicht allein um deswillen zwangsläufig programmgestaltend15. Abgesehen davon ist nicht ersichtlich, welche schnittkünstlerische Handschrift die Cutterin den von ihr bearbeiteten Beiträgen gegeben haben sollte, wie sich diese besondere Note von anderen Gestaltungsmöglichkeiten unterschied und inwiefern sie als formale oder inhaltliche Programmaussage gewirkt haben könnte. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass die Cutterin keine Möglichkeit hatte, etwa die Aussage eines Films zu verändern, indem sie die vom Filmautor gewünschten Passagen gegen andere austauschte, sei es aus ästhetischen, sei es aus inhaltlichen Gründen. Dass bei anderen Filmformaten, etwa Spielfilmen oder ambitionierten Dokumentarfilmen, die Schnittmeisterin uU eine andere, nämlich bestimmende Rolle spielen kann, ist für den Streitfall nicht entscheidend. Es ist nicht erkennbar, dass die Cutterin an solchen Vorhaben gearbeitet hätte.
Da die Cutterin nicht programmgestaltende Mitarbeiterin der Rundfunkanstalt ist, ist ihre Arbeitnehmereigenschaft anhand der allgemeinen Kriterien zu ermitteln. Deren Anwendung führt zum Ergebnis, dass die Cutterin zur Rundfunkanstalt im Arbeitsverhältnis steht.
Die Cutterin ist fachlich weisungsgebunden. Sie hat den Schnitt so vorzunehmen, wie es den Vorstellungen des jeweiligen Autors oder Redakteurs entspricht. Soweit technische Fragen in Betracht kommen, mag die Cutterin auch eigene Vorstellungen in die Realisierung einbringen. Dass sie auf die Gestaltung der betreffenden Beiträge einen inhaltlich oder formal maßgeblichen Einfluss ausübt oder ausüben könnte, ist – wie ausgeführt – nicht ersichtlich.
Die Cutterin ist bei ihrer Tätigkeit örtlich gebunden. Wenn sie Dienst verrichtet, hat das ausschließlich an dem von der Rundfunkanstalt dafür vorgesehenen Ort zu geschehen. Diese räumliche Gebundenheit beruht auf einer – zwar stillschweigenden, aber nicht zwingend vorgegebenen – Entscheidung der Rundfunkanstalt, den Schnitt in eigenen Räumen vornehmen zu lassen. Externe Schnittstudios werden auf dem Markt zur Miete angeboten. Es besteht für Rundfunkanstalten keine Notwendigkeit, Schnittarbeiten im Hause erledigen zu lassen. Geschieht es dennoch, so ist die räumliche Einbindung auch Ausdruck des engen, von der Rundfunkanstalt gestalteten Arbeitszusammenhangs, dem die Cutterin bei Ausübung ihrer Arbeit unterworfen ist.
Die Cutterin ist auch ansonsten in die Arbeitsorganisation bei der Rundfunkanstalt eingebunden. Sie verrichtet ihre Tätigkeit nicht allein, sondern hat sowohl mit Redakteuren und Autoren als auch mit technischen Mitarbeitern der Rundfunkanstalt zusammenzuwirken. Dies geschieht unter Inanspruchnahme der von der Rundfunkanstalt zur Verfügung gestellten und nach ihren Vorstellungen eingerichteten technischen Einrichtungen und gemäß den von ihr aufgestellten arbeitsorganisatorischen Vorgaben. Auch diese Einbindung ist Ausdruck des Willens der Rundfunkanstalt, die Schnittarbeit in den von ihr gestalteten Arbeitszusammenhang einzupassen und sie damit zu lenken und zu beherrschen.
Die zeitliche Weisungsgebundenheit der Cutterin ist insoweit strikt, als sie nur im Rahmen der von der Rundfunkanstalt für alle Cutterinnen und Cutter vorgeschriebenen Schichtpläne arbeiten kann. Die Anfangs- und Endzeiten ihrer Schichten und die Reihenfolge der Arbeiten an den Tagen, an denen sie Dienst tut, liegen fest und die Cutterin muss sich daran halten. Insoweit gibt die Cutterin ihre Zeitsouveränität auf und fügt sich in den von der Rundfunkanstalt vorgegebenen Arbeitsrhythmus ein. Sie hat keine Möglichkeit, die Schicht nach Bedarf etwas früher oder später anzutreten, als es in den Dienstplänen vorgesehen ist. Sie kann ebenso wenig die Reihenfolge der Arbeiten selbst bestimmen oder die Arbeit nach eigenen zeitlichen Bedürfnissen unterbrechen, verschieben usw. Sie muss sich vielmehr in das festgelegte Zeitraster einfügen. Indes bestand für die Cutterin insoweit ein für Arbeitsverhältnisse hohes Maß an Ungebundenheit in zeitlicher Hinsicht, als sie grundsätzlich die Übernahme von Diensten ablehnen konnte, dies offenbar mitunter auch getan hat und jedenfalls gelegentlich nicht ohne Weiteres für die Rundfunkanstalt erreichbar war. Auch diesen Umstand hat aber das Landesarbeitsgericht in seine Gesamtbetrachtung einbezogen und bewertet. Zu Recht hat es gemeint, dass die Möglichkeit der Cutterin die Übernahme von Diensten abzulehnen, hier nicht die Bejahung der Arbeitnehmereigenschaft hindert. Die Einbindung in einseitig bestimmte Dienstpläne ist weder notwendige noch hinreichende Bedingung für die Arbeitnehmereigenschaft. Vielmehr sind die Besonderheiten der jeweiligen Handhabung zu beachten. Im Streitfall hat die Cutterin zwar gelegentlich, keineswegs aber regelhaft von ihrem Ablehnungsrecht Gebrauch gemacht; es wurde nicht etwa „von Fall zu Fall“ jeweils neu entschieden, sondern die Rundfunkanstalt ging grundsätzlich davon aus, dass die angebotenen Schichten übernommen wurden. Das zeigt sich ua. daran, dass die Cutterin Dienste kurzfristig schriftlich zugewiesen erhielt, ohne dass die Rundfunkanstalt noch eine besondere Bestätigung eingeholt hätte. Weiter hat das Landesarbeitsgericht zu Recht berücksichtigt, dass die Rundfunkanstalt auch von fest angestellten Cuttern nicht bedingungslose Befolgung jeder Diensteinteilung erwartete, sondern – zB bei persönlichen Animositäten zwischen Cutter und Redakteur oder Autor – auf die Wünsche der Cutter Rücksicht nahm. Dies zeigt, dass kein statusrelevanter fundamentaler Unterschied zwischen der zeitlichen Einbindung der festen und der „freien“ Cutter bei der Rundfunkanstalt besteht, sondern dass es sich um Schattierungen und fließende Übergänge handelt. Vor allem aber ist zu berücksichtigen, dass die Cutterin ohnehin nicht im Umfang einer Vollzeitkraft eingesetzt wird. Schließlich kann die Rundfunkanstalt auch von fest angestellten Teilzeitbeschäftigten nur in begrenztem Rahmen erwarten, dass sie auf Abruf ohne Weiteres zur Verfügung stehen (§ 12 Abs. 2 TzBfG).
Jedenfalls ist es nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht in der Gesamtbetrachtung die auf den Arbeitnehmerstatus deutenden Umstände als deutlich vorherrschend angesehen und dem freilich nicht zu leugnenden Maß zeitlicher Unabhängigkeit der Cutterin in dem festgestellten Zusammenhang keine entscheidende Bedeutung zugemessen hat.
Soweit die Revision geltend macht, hinsichtlich des Beginns des Arbeitsverhältnisses im Jahr 2001 sei kein Feststellungsinteresse gegeben, kann sie keinen Erfolg haben. Die Feststellung des Beginns des Arbeitsverhältnisses kann für etwaige hieran anknüpfende Ansprüche der Cutterin Bedeutung gewinnen. Damit ist ein Feststellungsinteresse gegeben.
Kein Rechtsmißbrauch bei Berufen auf das Arbeitsverhältnis
Die Cutterin handelt nicht missbräuchlich, indem sie sich auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses beruft.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts16 kann sich ein Beschäftigter gegenüber seinem Vertragspartner nicht darauf berufen, zu ihm in einem Arbeitsverhältnis zu stehen, wenn dies unter dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens rechtsmissbräuchlich geschähe. Wer durch seine Erklärung oder durch sein Verhalten bewusst oder unbewusst eine Sach- oder Rechtslage geschaffen hat, auf die sich der andere Teil verlassen durfte und verlassen hat, darf den anderen Teil in seinem Vertrauen nicht enttäuschen. Es würde gegen Treu und Glauben verstoßen und das Vertrauen im Rechtsverkehr untergraben, wenn es erlaubt wäre, sich nach Belieben mit seinen früheren Erklärungen und seinem früheren Verhalten in Widerspruch zu setzen. Das widersprüchliche Verhalten ist rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein schützenswerter Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen.
Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, treuwidriges Verhalten der Cutterin liege nicht vor, ist nach diesen Maßgaben nicht zu beanstanden. Die Cutterin hat sich nicht widersprüchlich verhalten. Sie hat lediglich die Beschäftigung so angenommen, wie sie von der Rundfunkanstalt geboten wurde. Daraus konnte die Rundfunkanstalt nicht schlussfolgern, der Cutterin wäre es unangenehm als fest angestellte Cutterin zu arbeiten oder sie wünsche das nicht. Aus den Einsatzzeiten der Cutterin war ersichtlich, dass sie nicht für andere Auftraggeber tätig war. Umstände, die auf ein besonderes Interesse der Cutterin am Status einer freien Mitarbeiterin schließen ließen, sind nicht erkennbar. Ein Vertrauenstatbestand ist nicht geschaffen worden. Auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln vom 14.05.200317 kann sich die Rundfunkanstalt in diesem Zusammenhang schon deshalb nicht berufen, weil diese Entscheidung sich nicht zur Frage der treuwidrigen Berufung auf die Arbeitnehmereigenschaft äußerte, sondern bereits ein Arbeitsverhältnis für nicht gegeben hielt.
Beschäftigungsanspruch
Haben die Parteien – wie im Streitfall – einen Arbeitsvertrag nicht durch den Austausch ausdrücklicher Willenserklärungen, sondern durch Realofferte und deren Annahme geschlossen, kann für die Bestimmung der regelmäßigen vertraglichen Arbeitszeit auf das gelebte Rechtsverhältnis als Ausdruck des wirklichen Parteiwillens abgestellt werden18. Dabei entspricht, wenn der Beurteilung eine mehrjährig übereinstimmend und ohne entgegenstehende Bekundungen geübte Vertragspraxis zugrunde liegt, die vom Landesarbeitsgericht angewandte Referenzmethode am ehesten dem durch tatsächliche Befolgung geäußerten Parteiwillen. Sie vermeidet die Überbetonung von auf Zufälligkeiten beruhenden Ausschlägen nach oben und unten.
Aus der Nichtbeschäftigung in längeren (zwischenzeitlichen) Krankheitszeiten kann kein Rückschluss auf den die Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit betreffenden Parteiwillen gezogen werden.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17. April 2013 – 10 AZR 272/12
- LAG München, Urteil vom 24.01.2012 – 6 Sa 411/11[↩]
- vgl. BGH 22.03.2012 – VII ZR 102/11, Rn. 11, BGHZ 193, 10[↩]
- vgl. zum Dienstvertrag als Grundtyp des Arbeitsvertrags: MünchKomm-BGB/Müller-Glöge 6. Aufl. § 611 Rn. 1 ff.; BeckOK BGB/Fuchs § 611 Rn. 1 ff. mwN[↩]
- st. Rspr., vgl. zuletzt BAG 29.08.2012 – 10 AZR 499/11, Rn. 14, 15[↩]
- BAG 20.05.2009 – 5 AZR 31/08, Rn.20 mwN[↩]
- vgl. BVerfG 15.01.1958 – 1 BvR 400/51, zu II 1 der Gründe, BVerfGE 7, 198[↩]
- grundlegend BVerfG 13.01.1982 – 1 BvR 848/77 ua., zu C II und III der Gründe, BVerfGE 59, 231; 18.02.2000 – 1 BvR 491/93 ua., zu II 2 b bb der Gründe[↩]
- BVerfG 18.02.2000 – 1 BvR 491/93 ua., zu II 2 b aa der Gründe[↩]
- BVerfG 18.02.2000 – 1 BvR 491/93 ua. -; 22.08.2000 – 1 BvR 2121/94, zu 2 der Gründe[↩]
- vgl. BVerfG 18.02.2000 – 1 BvR 491/93 ua., zu II 2 c bb der Gründe[↩]
- BVerfG 13.01.1982 – 1 BvR 848/77 ua., zu C II 1 b der Gründe, BVerfGE 59, 231; BAG 19.01.2000 – 5 AZR 644/98, zu B III 2 a der Gründe, BAGE 93, 218[↩]
- BAG 20.05.2009 – 5 AZR 31/08, Rn. 22 mwN[↩]
- BAG 30.11.1994 – 5 AZR 704/93, zu B II 3 der Gründe mwN, BAGE 78, 343[↩]
- vgl. dazu BAG 8.11.2006 – 5 AZR 706/05, BAGE 120, 104[↩]
- vgl. zur Geigerin in einem Orchester: BVerfG 13.01.1982 – 1 BvR 848/77 ua., zu C IV der Gründe, BVerfGE 59, 231[↩]
- vgl. BAG 8.11.2006 – 5 AZR 706/05, Rn. 21, BAGE 120, 104; 4.12.2002 – 5 AZR 556/01, zu II 4 a der Gründe, BAGE 104, 86[↩]
- LAG Köln 14.05.2003 – 7 Sa 863/02[↩]
- BAG 26.09.2012 – 10 AZR 336/11, Rn. 14; 25.04.2007 – 5 AZR 504/06, Rn. 12 ff.[↩]