Fernsehen live aus dem Stadtrat
Die Oberbürgermeisterin der Landeshauptstadt Saarbrücken muss über die vorläufige Gestattung der Aufzeichnung von öffentlichen Sitzungen des Saarbrücker Stadtrats durch CiTi.TV neu entscheiden.
Das Verwaltungsgericht des Saarlandes in Saarlouis hatte die Landeshauptstadt Saarbrücken in einem Eilrechtsschutzverfahren verpflichtet, der Funkhaus Saar GmbH, einer im Saarland zugelassenen privaten Rundfunkveranstalterin (CiTi.TV), zu gestatten, öffentliche Sitzungen ihres Stadtrates mittels Videoaufzeichnungen zum ausschließlichen Zweck der Berichterstattung aufzuzeichnen und zu senden.
Das Verwaltungsgericht hat dabei darauf abgestellt, dass der Antragstellerin ein aus dem Grundrecht der Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk herzuleitender öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Videoaufzeichnung der Stadtratssitzungen zu Sendezwecken zustehe. Zum Schutzbereich der Rundfunkfreiheit gehöre, so die Saarlouiser Verwaltungsrichter, die Möglichkeit, ein öffentliches Ereignis Zuhörern und Zuschauern akustisch und optisch in voller Länge oder in Ausschnitten, zeitgleich oder zeitversetzt zu übertragen. Das Grundrecht umfasse auch einen Anspruch gegen den Staat auf Zugang in Fällen, in denen eine im staatlichen Bereich liegende Informationsquelle aufgrund rechtlicher Vorgaben öffentlich zugänglich sei. Sitzungen des Gemeinde- bzw. Stadtrates seien öffentlich, also allgemein zugänglich, soweit nicht das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner entgegenstünden. Letzteres hat das Gericht entgegen der Auffassung der Landeshauptstadt nicht feststellen können.
Weder könnten sich die Stadtratsmitglieder aufgrund ihrer Stellung als Teil der öffentlichen Verwaltung auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht berufen, noch könnten der Antragstellerin datenschutzrechtliche Bestimmungen entgegengehalten werden. Das Saarländische Datenschutzgesetz diene nicht dem Schutz öffentlicher und öffentlich zugänglicher Stellen vor Presse und Rundfunk. Auch das geltend gemachte öffentliche Interesse an der Funktionsfähigkeit des Gemeinderates führe zu keinem anderen Ergebnis, weil nicht ersichtlich sei, dass der öffentlich tagende Stadtrat seine Aufgaben nicht ordnungsgemäß erfüllen könne, wenn er dabei von einem privaten Rundfunksender gefilmt werde. Mit Blick auf die Veränderung gesellschaftlicher Strukturen (Stichwort: Informationsgesellschaft) sei es von Stadtratsmitgliedern aufgrund der Bedeutung ihres – selbst gewollten – Wirkens für die Öffentlichkeit hinzunehmen, dass Stadtratssitzungen aufgezeichnet werden.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Oberbürgermeisterin der Landeshauptstadt Saarbrücken war nun vor dem Oberverwaltungsgericht des Saarlandes überwiegend erfolgreich. Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes hat auf die Beschwerde der Oberbürgermeisterin der Landeshauptstadt Saarbrücken den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes aufgehoben und zugleich die Oberbürgermeisterin verpflichtet, bis spätestens 15.10.2010 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Gestattungsantrag der Funkhaus Saar GmbH zu entscheiden.
Das einer privaten Rundfunkveranstalterin zustehende Grundrecht der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG), so das Oberverwaltungsgericht in seinen Entscheidungsgründen, räume der Antragstellerin aller Voraussicht nach keinen gebundenen Anspruch darauf ein, die öffentlichen Sitzungen eines Stadt- oder Gemeinderates generell mittels Videoaufzeichnung zum ausschließlichen Zwecke der Berichterstattung aufzeichnen zu dürfen. Dieses Grundrecht finde seine Grenze in der rechtmäßigen Ausübung der Befugnisse der Oberbürgermeisterin als der Vorsitzenden des Stadtrates im Rahmen ihrer Sitzungsgewalt. Allerdings stehe der Antragstellerin ein Anspruch darauf zu, dass über ihren Antrag ermessensfehlerfrei entschieden werde.
Soweit das Gesetz die Öffentlichkeit von Sitzungen oder Verhandlungen von Staats- oder Verfassungsorganen anordne, genüge grundsätzlich die Herstellung einer Saalöffentlichkeit, bei der auch Vertreter der Medien die Befugnis hätten, zuzusehen, zuzuhören und die so aufgenommenen Informationen mit Hilfe der Presse, des Rundfunks oder anderer elektronischer Medien zu verbreiten. Sie erfordere aber nicht zwingend auch die Herstellung einer Medienöffentlichkeit in dem Sinne, dass den Medienvertretern daneben auch der medienspezifische Einsatz von Aufnahme- und Übertragungsgeräten mit dem Ziel der entsprechenden Verbreitung der Aufnahmen gestattet sei.
Die in § 43 Abs. 1 KSVG geregelte Sitzungsgewalt umfasse aller Voraussicht nach auch im Lichte der besonderen Bedeutung des Grundrechts der Rundfunkfreiheit das Recht des Ratsvorsitzenden, eine Zulassung der Medienöffentlichkeit zu verweigern. Bei der verfassungsrechtlichen Abwägung im Rahmen des § 43 KSVG könne allerdings nur ein konkurrierendes Rechtsgut von erheblichem Gewicht den Ausschluss einer über die Saalöffentlichkeit hinausgehenden Medienöffentlichkeit rechtfertigen. Mit einem solchen Gewicht könne dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit voraussichtlich nur das öffentliche Interesse an der – von Wirkungen der Medienöffentlichkeit unbeeinflussten – Funktionsfähigkeit des Gemeinderates entgegen gehalten werden.
Gleiches gelte nicht auch für Persönlichkeits- oder Mitgliedschaftsrechte der einzelnen Ratsmitglieder. Die Auffassung, die Ratsvorsitzende sei an der Zulassung der Medienöffentlichkeit bereits durch den Widerspruch eines einzelnen Ratsmitglieds, das sich auf subjektive (Persönlichkeits- oder Mitgliedschafts-)Rechte berufe, gehindert und bedürfe für eine solche Zulassung auch aus Gründen des Datenschutzes eines einstimmigen Ratsbeschlusses, stehe nicht im Einklang mit der im Hinblick auf das Grundrecht der Rundfunkfreiheit verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung des § 43 Abs.1 KSVG und der daran orientierten Ausübung der Sitzungsgewalt.
Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 30. August 2010 – 3 B 203/10