Verschwiegenheitspflicht eines Gemeinderatsmitglieds

Die aus § 35 Abs. 2 der baden-württembergischen Gemeindeordnung folgende Verschwiegenheitspflicht eines Gemeinderatsmitglieds über nichtöffentlich verhandelte Angelegenheiten erfasst auch rechtswidrige Beschlüsse.

Ob in Ausnahmefällen eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht als “ultima ratio” gerechtfertigt sein kann, setzt jedenfalls – wenn überhaupt möglich – regelmäßig voraus, dass zuvor die vom Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten zur Herstellung der Öffentlichkeit bzw. zur Überprüfung des Handelns des Gemeinderats durch die Rechtsaufsichtsbehörde ausgeschöpft wurden.

Gemäß § 35 Abs. 2 GemO sind die Gemeinderäte so lange zur Verschwiegenheit verpflichtet, bis der Bürgermeister diese Pflicht aufhebt. Dabei ist es unerheblich, ob der Gemeinderat der Meinung ist, dass zu Unrecht nichtöffentlich verhandelt wurde.

Die Verschwiegenheitspflicht besteht grundsätzlich auch dann, wenn in nichtöffentlicher Sitzung ein rechtswidriger Beschluss gefasst worden sein sollte. Die Rechtswidrigkeit eines Gemeinderatsbeschlusses allein stellt kein taugliches Abgrenzungskriterium dafür dar, ein generelles Bedürfnis für die Information der Öffentlichkeit zu begründen, das geeignet wäre, die Verschwiegenheitspflicht außer Kraft zu setzen. Die Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung dient der Wahrung öffentlicher Interessen bzw. berechtigter Interessen Einzelner. Diese können auch bei rechtswidrigen Beschlüssen einer Veröffentlichung entgegenstehen. Aus dem Rechtsstaatsprinzip und der Bindung der Staatsgewalt an Recht und Ordnung, auf die sich der Kläger zur Begründung seiner Auffassung beruft, folgt nicht, dass sich ein Gemeinderatsmitglied dann, wenn es einen in nichtöffentlicher Sitzung gefassten Beschluss für rechtswidrig hält, ohne weiteres über die einschlägigen Vorschriften der Gemeindeordnung hinwegsetzen kann. Auch der Kläger ist an das Gesetz gebunden. Er behauptet selbst nicht, dass die Regelungen über die Verschwiegenheitspflicht generell gegen die Verfassung verstoßen. Ein unmittelbar aus der Verfassung folgendes allgemeines und – ohne Rücksicht auf eventuelle schützenswerte Interessen Dritter – uneingeschränktes Informationsrecht des Bürgers besteht insoweit nicht. Ein solches Recht lässt sich auch nicht der vom Kläger angeführten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entnehmen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 1977 befasst sich mit der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung im Zusammenhang mit den Bundestagswahlen im Oktober 1976. Die dortigen Ausführungen sind in diesem Kontext zu sehen. Ein dem vorliegenden Verfahren vergleichbarer Sachverhalt wurde dort nicht entschieden. Gleiches gilt für das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Juli 1966, welches sich im Zusammenhang mit der staatlichen Parteienfinanzierung mit dem Prozess der Meinungs- und Willensbildung auseinandersetzt.

Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, er habe sich in einem rechtfertigenden Notstand befunden, da er nur durch die Pflichtverletzung seine Pflichten gegenüber den von ihm vertretenen Bürgern habe erfüllen und die Voraussetzungen dafür schaffen können, dass zumindest die Möglichkeit bestehe, dass der von ihm als rechtswidrig erkannte Zustand auf Druck der öffentlichen Meinung beseitigt werde. Ob einem Ratsmitglied in besonderen Fällen zur Wahrung seiner demokratischen Teilhabe als „ultima ratio“ die Preisgabe von Informationen an die Öffentlichkeit zuzugestehen ist, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Die Flucht eines Ratsmitglieds an die Öffentlichkeit wäre in einem solchen Fall jedenfalls nur dann gerechtfertigt, wenn zuvor die im Gesetz vorgesehenen Mittel zur Herstellung der Öffentlichkeit bzw. zur Überprüfung des Handelns des Gemeinderats durch die gesetzlich vorgesehene Kontrollinstanz ausgeschöpft wurden. Dies ist hier aber nicht der Fall.

Einen Antrag auf öffentliche Verhandlung der Grundstücksangelegenheit im Gemeinderat hat der Kläger nicht gestellt. Er hat auch nicht beantragt, von der Schweigepflicht entbunden zu werden. Den Weg, die zuständige Aufsichtsbehörde wegen der von ihm gesehenen Rechtsverletzung einzuschalten, hat er gleichfalls nicht beschritten, obwohl ihm diese Möglichkeit bekannt war. Die vorherige Einschaltung der Rechtsaufsichtsbehörde wäre aber der die berechtigten Interessen der Gemeinde schonendere Weg gewesen. Der Rechtsaufsichtsbehörde und gegebenenfalls den in Anspruch zu nehmenden Gerichten stehen auch regelmäßig wesentlich umfangreichere Aufklärungs- und Beurteilungsmöglichkeiten hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des kommunalen Handelns zur Verfügung. Soweit der Kläger ein strafrechtlich relevantes Verhalten von einzelnen Personen in Betracht zieht, hat eine fachlich kompetente Klärung durch die Strafverfolgungsbehörden Vorrang.

Es war dem Kläger zumutbar, zunächst die ihm in gesetzeskonformer Weise zur Verfügung stehenden Möglichkeiten in Anspruch zu nehmen. Er kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass diese aus seiner Sicht nicht erfolgversprechend waren. Insbesondere fehlt seiner subjektiven Einschätzung, wonach ein Einschalten der Rechtsaufsichtsbehörde schon wegen der Parteizugehörigkeit des früheren Oberbürgermeisters der Beklagten und dessen neuer Funktion auf Landesebene nicht zu einem objektiven Ergebnis geführt hätte, jegliche konkrete Grundlage. Dass letztlich das Regierungspräsidium bei einer später von Amts wegen durchgeführten Prüfung keinen Anlass sah, das Grundstücksgeschäft zu beanstanden, bestätigt noch nicht die zuvor geäußerte Einschätzung des Klägers, und vermag sein Verhalten nicht nachträglich zu rechtfertigen. Auch zeitlich sah sich der Kläger keinem Druck ausgesetzt. Die Entscheidung über das Grundstücksgeschäft wurde bereits im Juli 2007 getroffen. Die Erklärungen des Klägers gegenüber der Presse erfolgten erst im Februar 2008.

Verwaltungsgericht Sigmaringen, Urteil vom 25. November 2010 – 2 K 2364/08