Verwirkung im Urheberrecht

Rechtsfolge der Verwirkung nach § 242 BGB ist im Urheberrecht wie auch sonst im Immaterialgüterrecht und im Wettbewerbsrecht allein, dass der Rechtsinhaber seine Rechte im Hinblick auf bestimmte konkrete bereits begangene oder noch andauernde Rechtsverletzungen nicht mehr durchzusetzen vermag; ein Freibrief für künftige Rechtsverletzungen ist damit nicht verbunden1. Die bisherigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs sind zwar zum Marken- und Wettbewerbsrecht ergangen; die dort aufgestellten Grundsätze zur Verwirkung gelten jedoch auch im Urheberrecht.

Verhält sich ein Rechtsinhaber gegenüber Zuwiderhandlungen gegen seine Rechte längere Zeit untätig, obwohl er den Verletzungstatbestand kannte oder doch kennen musste, können dadurch allenfalls diejenigen Ansprüche auf Schadensersatz und Bereicherungsausgleich verwirkt werden, die bis zu einer Abmahnung des Verletzers durch den Rechtsinhaber entstanden waren; nach einer Abmahnung durch den Verletzten muss der Verletzer wieder damit rechnen, wegen künftiger Verletzungshandlungen auf Schadensersatz oder Bereicherungsausgleich in Anspruch genommen zu werden2.

Eine Abkürzung der für Ansprüche wegen Verletzung eines nach dem Urheberrechtsgesetz geschützten Rechts oder wegen Eingriffs in den Zuweisungsgehalt eines solchen Rechts gemäß § 102 Satz 1 UrhG, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB geltenden dreijährigen Verjährungsfrist durch Verwirkung kann nur unter ganz besonderen Umständen angenommen werden3.

Wiederholte gleichartige Urheberrechtsverletzungen, die zeitlich unterbrochen auftreten, lösen danach jeweils einen neuen Unterlassungsanspruch aus und lassen die für die Beurteilung des Zeitmoments der Verwirkung maßgebliche Frist jeweils neu beginnen. Auch längere Untätigkeit des Rechtsinhabers gegenüber bestimmten gleichartigen Verletzungshandlungen kann kein berechtigtes Vertrauen des Rechtsverletzers begründen, der Rechtsinhaber dulde auch künftig sein Verhalten und werde weiterhin nicht gegen solche – jeweils neuen – Rechtsverletzungen vorgehen. Der Verwirkungseinwand, der auf einen im Vertrauen auf die Benutzungsberechtigung geschaffenen schutzwürdigen Besitzstand gegründet ist, darf nicht dazu führen, dass dem Benutzer eine zusätzliche Rechtsposition eingeräumt wird und die Rechte des nach Treu und Glauben nur ausnahmsweise und in engen Grenzen schutzwürdigen Rechtsverletzers über diese Grenzen hinaus erweitert werden4. Andernfalls würde die Verwirkung im Ergebnis das urheberrechtliche Nutzungsrecht selbst ergreifen, obwohl sie regelmäßig nur die aus der Urheberrechtsverletzung entstandenen Ansprüche ergreifen kann5.

Die vom Unterlassungsantrag der Kläger umfasste Verletzungsform ist das ohne ihre Zustimmung erfolgende Vervielfältigen, Öffentlich-Zugänglichmachen oder Senden der aus den vorgelegten Standbildern ersichtlichen Filmaufnahmen über den Abtransport des am 17.08.1962 angeschossenen Peter Fechter an der Berliner Mauer nahe dem sogenannten Checkpoint Charlie. Die für die Beurteilung des Zeitmoments der Verwirkung maßgebliche Frist hat daher mit jedem Vervielfältigen, Öffentlich-Zugänglichmachen oder Senden dieser Filmaufnahmen neu zu laufen begonnen. Die Kläger haben die Beklagte unter anderem wegen des angeblichen Sendens dieser Aufnahmen am 13.08.2010 bereits mit Schreiben vom 31.08.2010 abgemahnt. Unabhängig von den sonstigen Einzelumständen des Streitfalls kommt schon mangels eines relevanten Zeitmoments eine Verwirkung des von den Klägern geltend gemachten, allein in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruchs nicht in Betracht.

Die am 17.08.1962 aufgenommenen Filmeinzelbilder waren gemäß §§ 1, 3, 15 KUG urheberrechtlich als Werke der Fotografie geschützt.

Der Schutz von Werken der Fotografie endete nach der damals maßgeblichen Fassung des § 26 KUG grundsätzlich mit dem Ablauf von 25 Jahrenseit dem Erscheinen des Werkes (§ 26 Satz 1 KUG) und für den Fall, dass das Werk bis zum Tod des Urhebers noch nicht erschienen war, mit dem Ablauf von 25 Jahren seit dem Tod des Urhebers (§ 26 Satz 2 KUG).

Durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Urheberrechts vom 24.06.1985 wurde die Schutzfrist für Lichtbilder, die Dokumente der Zeitgeschichte sind, auf 50 Jahre nach dem Erscheinen des Lichtbilds und für den Fall, dass das Lichtbild innerhalb von 50 Jahren nach seiner Herstellung nicht erschienen war, auf 50 Jahre nach der Herstellung des Lichtbildes verlängert (§ 72 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 UrhG [1985]). Zugleich wurde bestimmt, dass die Frist mit dem Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem das für den Beginn der Frist maßgebliche Ereignis eingetreten ist (§ 72 Abs. 3 Satz 2, § 69 UrhG [1985]).

Diese Regelung ist auf die hier in Rede stehenden Lichtbilder anwendbar. Zum einen ist die Schutzfristverlängerung in entsprechender Anwendung der unmittelbar für Lichtbildwerke geltenden Übergangsregelung des § 137a Abs. 1 UrhG auch auf Lichtbilder anzuwenden, deren Schutzdauer am 1.07.1985 nach dem bis dahin geltenden Recht noch nicht abgelaufen war6; die 25jährige Schutzdauer der am 17.08.1962 aufgenommenen Filmeinzelbilder war am 1.07.1985 selbst dann nicht abgelaufen, wenn sie bereits mit dem Tag der Aufnahme begonnen hat. Zum anderen handelt es sich bei diesen Lichtbildern um Dokumente der Zeitgeschichte, da sie eine historisch bedeutsame Situation wiedergeben7.

Durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes vom 23.06.1995 wurde die Schutzfrist für Lichtbilder mit Wirkung zum 1. Juliabermals neu geregelt. Gemäß § 72 Abs. 3 Satz 1 UrhG erlischt das Schutzrecht nunmehr 50 Jahre nach dem Erscheinen des Lichtbildes oder, wenn seine erste erlaubte öffentliche Wiedergabe früher erfolgt ist, nach dieser, jedoch bereits 50 Jahre nach der Herstellung, wenn das Lichtbild innerhalb dieser Frist nicht erschienen oder erlaubterweise öffentlich wiedergegeben worden ist.

Für Lichtbilder, die – wie die hier in Rede stehenden – vor dem 1.07.1995 geschaffen worden sind, gilt die Regelung, dass die Schutzfrist bereits mit der ersten erlaubten öffentlichen Wiedergabe beginnt, wenn diese vor dem Erscheinen erfolgte, allerdings erst seit dem 1.07.19958. Ansonsten würde die Schutzdauer vorher entstandener Rechte verkürzt, was der Übergangsregelung des § 137f Abs. 1 Satz 1 UrhG widerspräche.

Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen kann entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht angenommen werden, dass die Lichtbilder bereits am 17.08.1962 erschienen sind und ihr Schutz daher nach § 72 Abs. 3 UrhG, § 69 UrhG am 31.12 2012 geendet hat.

Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 UrhG ist ein Werk erschienen, wenn mit Zustimmung des Berechtigten Vervielfältigungsstücke des Werkes nach ihrer Herstellung in genügender Anzahl der Öffentlichkeit angeboten oder in Verkehr gebracht worden sind.

Das Erscheinen eines Lichtbildes setzt danach voraus, dass das Lichtbild in körperlicher Form – etwa als Abzug – an die Öffentlichkeit gelangt8; auch die Eingabe digitalisierter Bilder in elektronische Bildarchive kann danach als Erscheinen einzustufen sein9. Die Veröffentlichung eines Lichtbildes in unkörperlicher Form – beispielsweise durch Sendung – genügt dagegen nicht.

Die Lichtbilder sind danach – anders als das Landgericht und ihm folgend das Berufungsgericht wohl angenommen haben – nicht dadurch erschienen, dass der Film noch am Tag seiner Aufnahme am 17.08.1962 gesendet wurde. Es sind bislang keine Feststellungen dazu getroffen, ob und gegebenenfalls wann die Lichtbilder innerhalb von 50 Jahren nach ihrer Herstellung am 17.08.1962 erschienen sind. Es kann daher nicht beurteilt werden, ob ihre 50jährige Schutzfrist zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz am 18.09.2013 abgelaufen war.

Zwar lösen wiederholte gleichartige Urheberrechtsverletzungen, die zeitlich unterbrochen auftreten, jeweils neue Ansprüche nicht nur auf Unterlassung, sondern auch auf Schadensersatz und Bereicherungsausgleich aus. Der Grundsatz, dass mit jeder wiederholten gleichartigen Urheberrechtsverletzung die für die Beurteilung des Zeitmoments bei der Verwirkung maßgebliche Frist jeweils neu zu laufen beginnt, gilt allerdings nur für den Unterlassungsanspruch. Die für die Beurteilung des Zeitmoments der Verwirkung eines Anspruchs auf Schadensersatz oder Bereicherungsausgleich maßgebliche Frist kann bei wiederholten gleichartigen Verletzungshandlungen dagegen mit der ersten Verletzungshandlung beginnen. Eine längere Untätigkeit des Rechtsinhabers gegenüber bestimmten gleichartigen Verletzungshandlungen kann zwar kein berechtigtes Vertrauen des Rechtsverletzers begründen, der Rechtsinhaber dulde auch künftig sein Verhalten und werde weiterhin nicht gegen solche – jeweils neuen – Rechtsverletzungen vorgehen. Sie kann aber ein berechtigtes Vertrauen des Rechtsverletzers begründen, der Rechtsinhaber werde wegen bereits eingetretener und von ihm geduldeter Rechtsverletzungen im Nachhinein keine Ansprüche auf Schadensersatz oder Bereicherungsausgleich mehr geltend machen.

In seiner Entscheidung „Stühle und Tische“ hat der Bundesgerichtshof Umsätze, die lediglich 1% des jährlichen Gesamtumsatzes eines Verletzers ausmachten, allein unter den in jenem Streitfall vorliegenden Umständen – und nicht etwa generell – für nicht ausreichend erachtet, um den für eine Verwirkung der geltend gemachten Unterlassungsansprüche erforderlichen wertvollen Besitzstand des Verletzers zu begründen10.

Darüber hinaus setzt die Verwirkung von Ansprüchen auf Schadensersatz oder Bereicherungsausgleich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keinen schutzwürdigen Besitzstand voraus, wie er für die Verwirkung eines Unterlassungsanspruchs erforderlich ist. Voraussetzung ist vielmehr allein, dass der Schuldner auf Grund eines hinreichend lange dauernden Duldungsverhaltens des Rechtsinhabers darauf vertrauen durfte, dieser werde nicht mehr mit Zahlungsansprüchen wegen solcher Handlungen an ihn herantreten, die er auf Grund des geweckten Duldungsanscheins vorgenommen hat. Statt eines Besitzstands im Sinne der sachlichwirtschaftlichen Basis für die künftige wirtschaftliche Betätigung des Verletzers, wie er für den in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch entscheidend ist, genügt es, wenn der Schuldner sich bei seinen wirtschaftlichen Dispositionen darauf eingerichtet hat und einrichten durfte, keine Zahlung an den Gläubiger (mehr) leisten zu müssen11.

Allerdings kann nicht angenommen werden, dass unter diesen Umständen sämtliche Ansprüche der Urheberrechtsinhaber auf Schadensersatz und Bereicherungsausgleich verwirkt sind. Vielmehr sind allein die Ansprüche verwirkt, die auf Verletzungshandlungen beruhen, die vor der (neuerlichen) Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs vorgenommen worden sind.

Verhält sich ein Rechtsinhaber gegenüber Zuwiderhandlungen gegen seine Rechte längere Zeit untätig, obwohl er den Verletzungstatbestand kannte oder doch kennen musste, können dadurch allenfalls diejenigen Ansprüche auf Schadensersatz und Bereicherungsausgleich verwirkt werden, die bis zu einer Abmahnung des Verletzers durch den Rechtsinhaber entstanden waren. Nach einer Abmahnung durch den Verletzten muss der Verletzer wieder damit rechnen, wegen künftiger Verletzungshandlungen auf Schadensersatz oder Bereicherungsausgleich in Anspruch genommen zu werden12. Danach sind im Streitfall jedenfalls diejenigen Ansprüche nicht verwirkt, die auf Verletzungshandlungen gestützt sind, die nach der Abmahnung vom 31.08.2010 vorgenommen worden sind.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die hier in Rede stehenden Ansprüche auf Schadensersatz und Bereicherungsausgleich gemäß § 102 Satz 1 UrhG, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB der (kurzen) regelmäßigen Verjährung von drei Jahren unterliegen und eine weitere Abkürzung dieser Verjährungsfrist durch Verwirkung nur noch unter ganz besonderen Umständen angenommen werden kann; dem Gläubiger soll die Regelverjährung grundsätzlich ungekürzt erhalten bleiben, um ihm die Möglichkeit zur Prüfung und Überlegung zu geben, ob er einen Anspruch gerichtlich geltend macht13. Da hier keine besonderen Umstände vorliegen, sind danach auch diejenigen Ansprüche nicht verwirkt, die zum Zeitpunkt der die Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB hemmenden Erhebung der Klage im Jahr 2011 nicht verjährt waren. Da die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, waren zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Jahr 2011 diejenigen Ansprüche verjährt, die auf Verletzungshandlungen gestützt sind, die bis zum 31.12 2007 vorgenommen worden sind. Dagegen waren diejenigen Ansprüche, die auf Verletzungshandlungen gestützt sind, die seit dem 1.01.2008 vorgenommen worden sind, nicht verjährt und damit auch nicht verwirkt.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 6. Februar 2014 – I ZR 86/12

  1. Anschluss an BGH, Urteil vom 18.01.2012 – I ZR 17/11, GRUR 2012, 928 = WRP 2012, 1104 – Honda-Grauimport; Urteil vom 15.08.2013 – I ZR 188/11, GRUR 2013, 1161 = WRP 2013, 1465 – Hard Rock Cafe [zur Veröffentl. in BGHZ bestimmt]; Fortführung von BGH, Urteil vom 30.06.1976 – I ZR 63/75, BGHZ 67, 56 – Schmalfilmrechte[]
  2. Bestätigung von BGH, Urteil vom 15.11.1957 – I ZR 83/56, BGHZ 26, 52 Sherlock Holmes; BGHZ 67, 56 – Schmalfilmrechte[]
  3. Anschluss an BGH, Urteil vom 20.07.2010 EnZR 23/09, NJW 2011, 212 – Stromnetznutzungsentgelt IV; Urteil vom 11.10.2012 – VII ZR 10/11, NJW 2012, 3569; Urteil vom 29.01.2013 – EnZR 16/12 13[]
  4. vgl. BGH, GRUR 2012, 928 Rn. 22 f. – Honda-Grauimport[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 30.06.1976 – I ZR 63/75, BGHZ 67, 56, 67 f. – Schmalfilmrechte[]
  6. vgl. OLG Hamburg, GRUR 1990, 717, 720; Katzenberger in Schricker/Loewenheim aaO § 137a UrhG Rn. 4[]
  7. vgl. dazu OLG Hamburg, GRUR 1990, 717, 719 f.; Schulze in Dreier/Schulze aaO § 72 Rn. 35[]
  8. vgl. Schulze in Dreier/Schulze aaO § 72 Rn. 37[][]
  9. vgl. Maaßen, ZUM 1992, 338, 342 f.[]
  10. BGH, GRUR 1981, 652, 653 – Stühle und Tische[]
  11. BGH, Urteil vom 19.12 2000 – X ZR 150/98, BGHZ 146, 217, 222 f. Temperaturwächter; Urteil vom 31.07.2008 – I ZR 171/05, GRUR 2008, 1104 Rn. 36 = WRP 2008, 1532 – Haus & Grund II, jeweils mwN[]
  12. vgl. BGH, Urteil vom 15.11.1957 – I ZR 83/56, BGHZ 26, 52, 66 f. – Sherlock Holmes; BGHZ 67, 56, 67 – Schmalfilmrechte; vgl. auch OLG Hamburg, ZUM-RD 2002, 181, 200; Wild in Schricker/Loewenheim aaO § 97 UrhG Rn.200; J.B. Nordemann in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 10. Aufl., § 102 UrhG Rn. 12[]
  13. st. Rspr.; BGH, Urteil vom 20.07.2010, EnZR 23/09, NJW 2011, 212 – Stromnetznutzungsentgelt IV, mwN; Urteil vom 11.10.2012, – VII ZR 10/11, NJW 2012, 3569; Urteil vom 29.01.2013 – EnZR 16/12 13[]