Pflegegeld – und die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht

Die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 7 Alt. 3 RBStV setzt voraus, dass der Bezug von Pflegegeld nach landesgesetzlichen Vorschriften von der Bedürftigkeit des Empfängers abhängt.

Zwar spricht gegen dieses enge Verständnis der Wortlaut des § 4 Abs. 1 Nr. 7 Alt. 3 RBStV, wonach Empfänger von Pflegegeld nach landesgesetzlichen Vorschriften von der Beitragspflicht auf Antrag befreit werden. Auch liegt die Vermutung nahe, dass dem Gesetzgeber bei der Einfügung des Tatbestandes durch den Fünfzehnten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (15. RÄStV) vom 07.06.20111 die damals geltenden landesgesetzlichen Pflegegeldregelungen in Brandenburg, Berlin und Rheinland-Pfalz vor Augen gestanden haben. Danach haben Personen mit im Einzelnen jeweils bezeichneten schweren Behinderungen einen Anspruch auf Pflegegeld zum Ausgleich der durch ihre Behinderung bedingten Mehraufwendungen unabhängig von ihrem Einkommen und Vermögen (vgl. §§ 1, 2 LPflGG BB i. d. F. der Bekanntmachung vom 11.10.1995 §§ 1, 3 Abs. 1 LPflGG BE vom 17.12.2003, §§ 1, 2 LPflGG RP vom 31.10.1974). Allerdings wird diese Vermutung nicht durch die Gesetzesbegründung bestätigt, die sich zu diesem Befreiungstatbestand nicht verhält2.

Dass die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht wegen des Bezugs von Pflegegeld nach landesgesetzlichen Vorschriften nur bei einer behördlich festgestellten Bedürftigkeit des Empfängers in Betracht kommt, beruht indes auf dem Sinn und Zweck des Katalogs von Befreiungstatbeständen in § 4 Abs. 1 RBStV sowie dem in Art. 3 Abs. 1 GG verankerten Gebot der Vorteilsgerechtigkeit.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sieht § 4 Abs. 1 RBStV einen Anspruch auf Befreiung aus sozialen Gründen vor. Voraussetzung ist, dass der Beitragsschuldner eine in § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 8 und Nr. 10 Alt. 2 RBStV genannte Sozialleistung bezieht oder zu dem von § 4 Abs. 1 Nr. 9 und 10 Alt. 1 RBStV erfassten Personenkreis gehört und dieses gemäß § 4 Abs. 7 Satz 2 RBStV durch eine entsprechende Bestätigung der Behörde oder des Leistungsträgers oder durch einen entsprechenden Bescheid nachweisen kann. Die Landesgesetzgeber haben sich mit der Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht nach § 4 Abs. 1 RBStV für das normative Regelungssystem der sogenannten bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit entschieden. Dieses System haben sie bereits mit der Befreiungsregelung des bis zum 31.12.2012 geltenden § 6 Abs. 1 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages (RGebStV) vom 31.08.19913 eingeführt und beibehalten4. Das System der bescheidgebundenen Befreiung beruht auf dem Grundprinzip, nur denjenigen zu befreien, dessen Bedürftigkeit am Maßstab der bundesgesetzlichen Regelungen durch eine staatliche Sozialbehörde geprüft und in deren Bescheid bestätigt wird oder dem vom Staat bestätigt wurde, dass er die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung erfüllt. Mit diesem System werden schwierige Berechnungen zur Feststellung der Bedürftigkeit auf Seiten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vermieden, indem aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung an die bundesgesetzgeberischen Wertungen für den Bezug von Sozialleistungen angeknüpft und diese zur Grundlage der Reichweite einer Befreiung von der Rundfunkgebühr bzw. geltenden Beitragspflicht gemacht werden5. Soweit die in § 4 Abs. 1 RBStV aufgeführten Befreiungstatbestände an den Bezug von Sozialleistungen anknüpfen, kommen sie nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur denjenigen Personen zugute, die nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen außerstande sind, Rundfunkbeiträge zu bezahlen6.

Entsprechendes hat für den Bezug von Pflegegeld nach landesgesetzlichen Vorschriften zu gelten, weil die Landesgesetzgeber diese Befreiungsmöglichkeit in den Katalog des § 4 Abs. 1 RBStV integriert haben. Empfänger derartiger Pflegegeldleistungen können daher nur befreit werden, wenn sie nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen außerstande sind, Rundfunkbeiträge zu bezahlen, und ihre Bedürftigkeit am Maßstab der landesgesetzlichen Regelung durch eine staatliche Sozialbehörde geprüft sowie in deren Bescheid bestätigt wird. Insofern gilt für diesen Befreiungstatbestand nichts Anderes als für die beiden anderen Alternativen des § 4 Abs. 1 Nr. 7 RBStV. Auch die Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII) und als Leistung der Kriegsopferfürsorge nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) hängen jeweils von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Empfängers und damit von dessen Bedürftigkeit ab (vgl. § 61 Satz 1 i. V. m. §§ 82 ff. SGB XII sowie § 26c Abs. 1 und 5 BVG i. V. m. § 61 Satz 1 SGB XII).

Bestätigt wird diese Auffassung durch das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Gebot der Vorteilsgerechtigkeit. Der Rundfunkbeitrag ist als Vorzugslast ausgestaltet. Der Gleichheitssatz fordert für die Erhebung solcher Lasten, dass sich die Belastung der Abgabepflichtigen nach der Größe ihres individuellen Vorteils richtet. Privilegierungen in Gestalt von Befreiungen oder Ermäßigungen der Beitragspflicht müssen durch den Gedanken des Vorteilsausgleichs oder bei vorteilsfremden wie z. B. sozialpolitischen Gründen sachlich gerechtfertigt sein7. Die durch die rundfunkbeitragsrechtlichen Privilegierungen entstehende Mehrbelastung auf Seiten der Abgabepflichtigen müssen sich in verhältnismäßig engen Grenzen halten8.

Hiernach kommt mit Blick auf den Maßstab der Vorteilsgerechtigkeit eine Befreiungsmöglichkeit nach § 4 Abs. 1 Nr. 7 Alt. 3 RBStV wegen einer Schwerbehinderung nicht in Betracht. Die Rundfunkbeitragspflicht schwerbehinderter Menschen entspricht dem Gebot der Vorteilsgerechtigkeit, weil auch diese die öffentlichen Rundfunkprogramme nutzen können9. Erforderlich ist vielmehr für diese Befreiungsmöglichkeit eine anderweitige sachliche Rechtfertigung. Insoweit kommt nach dem System der Befreiungstatbestände nur in Betracht, dass der Empfänger der Sozialleistung außerstande ist, den Rundfunkbeitrag aus seinem Einkommen und Vermögen zu zahlen, er mithin am Maßstab des Rechts der jeweiligen Sozialleistung als bedürftig anzusehen ist. Nur so verstanden erweist sich die Befreiungsmöglichkeit aus sozialem Grund und die hierdurch entstehende Mehrbelastung mit dem Gebot der Vorteilsgerechtigkeit vereinbar10.

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14. Juli 2022 – 6 B 13.22

  1. BY GVBl. S. 258[]
  2. vgl. BY LT-Drs. 16/7001 S. 15[]
  3. BY GVBl. I S. 451[]
  4. vgl. BVerwG, Urteil vom 30.10.2019 – 6 C 10.18, BVerwGE 167, 20 Rn. 17; zum früheren Recht: BVerwG, Urteil vom 12.10.2011 – 6 C 34.10, Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 62 Rn.20; Beschluss vom 18.06.2008 – 6 B 1.08, Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 44 Rn. 5[]
  5. vgl. BVerwG, Urteil vom 30.10.2019 – 6 C 10.18, BVerwGE 167, 20 Rn. 21 m. w. N. zum früheren Recht[]
  6. vgl. BVerwG, Urteil vom 28.02.2018 – 6 C 48.16, BVerwGE 161, 224 Rn. 39[]
  7. vgl. BVerwG, Urteile vom 27.09.2017 – 6 C 34.16, Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 84 Rn. 26 zur rundfunkbeitragsrechtlichen Privilegierung gemeinnütziger Einrichtungen der Altenhilfe nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 RBStV; und vom 28.02.2018 – 6 C 48.16, BVerwGE 161, 224 Rn. 30 ff. zur Ermäßigung des Rundfunkbeitrags für Schwerbehinderte nach § 4 Abs. 2 Satz 1 RBStV[]
  8. BVerwG, Urteil vom 28.02.2018 – 6 C 48.16, BVerwGE 161, 224 Rn. 30[]
  9. vgl. BVerwG, Urteil vom 28.02.2018 – 6 C 48.16, BVerwGE 161, 224 LS 2, Rn. 31[]
  10. vgl. BVerwG, Urteil vom 28.02.2018 – 6 C 48.16, BVerwGE 161, 224 Rn. 38[]