Zitieren – aber nur im zutreffenden Kontext

Ein Zitat ohne Kontext kann ein unzulässiges Fehlzitat sein. Ein Fehlzitat kann vorliegen, wenn in einer Berichterstattung nur ein Satz eines Facebook-Posts zitiert wird, ohne auch den weiteren Kontext wiederzugeben, in dem der zitierte Satz steht (hier: Kritik an der Siedlungspolitik der israelischen Regierung). Eine an das Zitat anknüpfende Wertung der Aussage als „antisemitisch“ kann dagegen eine zulässige Meinungsäußerung sein.

Mit dieser Begründung hat jetzt das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) eine Entscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main1, mit der Unterlassungsansprüche des Lokalpolitikers abgewiesen worden waren, im Wesentlichen bestätigt. Der Lokalpolitiker wendet sich gegen vier Aussagen im Rahmen zweier Berichterstattungen der Verlegerin. Er ist stellvertretender Vorsitzender einer kleinen Partei und Mitglied der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung. In dem Bericht hieß es u.a., dass er auf Facebook geschrieben habe: „Während man nur noch von Corona redet, hat man den wahren Virus im Nahen Osten vergessen: Israel“. Der Lokalpolitiker ist der Ansicht, die Berichterstattung stelle ihn als Antisemiten dar und verletze ihn in seinen Persönlichkeitsrechten. Das Landgericht Frankfurt hatte seine auf Unterlassung von vier Aussagen gerichtete Klage insgesamt abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hatte vor dem Oberlandesgericht nur hinsichtlich einer Aussage Erfolg:

Drei der angegriffenen Äußerungen enthielten zulässige Meinungsäußerungen, bestätigte das OLG die Entscheidung des Landgerichts. Soweit in den Berichten das Adjektiv „antisemitisch“ verwendet werde, liege eine zulässige Meinungsäußerung vor. Entgegen der Ansicht des Lokalpolitikers werde nicht er als Person als Antisemit bezeichnet, sondern konkret aufgeführte Äußerungen als antisemitisch. Die Beklagte habe diese Bewertung auf einen objektiv tatsächlichen Anknüpfungspunkt in Form des vorausgegangenen Posts des Lokalpolitikers auf Facebook zurückführen können. Der Post biete (noch) einen ausreichenden Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte diesen Beitrag als antisemitisch habe beurteilen können. Der Lokalpolitiker habe den Staat Israel durch den Begriff „Virus“ mit einem Krankheitserreger gleichgesetzt, der – vergleichbar mit dem Corona-Virus – bekämpft und ausgerottet werden müsse. Bei Abwägung der involvierten Interessen sei auch zu berücksichtigen, dass der Artikel einen Beitrag im geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage darstelle. Für die Öffentlichkeit seien sowohl die kleine Partei als Teil der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung als auch die von ihren Vertretern nach außen vertretenen Ansichten von wesentlichem Interesse.

Mit Erfolg wende sich der Lokalpolitiker aber gegen die Aussage, dass er auf Facebook das oben wiedergegebene Zitat geschrieben habe. Das Zitat verfälsche die eigentliche Äußerung des Lokalpolitikers. Im Ursprungspost habe die Äußerung im Kontext mit Kritik an der Siedlungspolitik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern gestanden. Durch das nicht gekennzeichnete Weglassen dieser Passage erhalte das Zitat eine andere Färbung und entspreche nicht mehr dem, was der Lokalpolitiker tatsächlich gesagt habe. Mit der Bezeichnung Israels als „wahren Virus“ habe der Lokalpolitiker Kritik an der Siedlungspolitik des israelischen Staats seit 1948 zum Ausdruck bringen wollen. Es mache einen „Unterschied, ob eine generell ablehnende Haltung gegenüber der Bevölkerung Israels geäußert wird, wie es die als Zitat des Lokalpolitikers wiedergegebene Äußerung der Verlegerin nahelege, oder ob hierfür ein sachlicher Bezug, nämlich die dortige Siedlungspolitik angeführt wird“, begründete der Pressesenat die Entscheidung.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 8. Mai 2024 – 16 U 169/22

  1. LG Frankfurt a.M., Urteil vom 28.04.2022 – 2-03 O 367/21[]