Verdachtsberichterstattung

Anspruch Genommene vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt hat. Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten. Sie sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute. An die Wahrheitspflicht dürfen im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen gestellt werden, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen und so den freien Kommunikationsprozess einschnüren.

Andererseits ist aber auch zu berücksichtigen, dass die Wahrheitspflicht Ausdruck der Schutzpflicht ist, die aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt. Je schwerwiegender die Äußerung das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt, umso höhere Anforderungen sind deshalb an die Erfüllung der Sorgfaltspflichten zu stellen. Allerdings ist auch das Interesse der Öffentlichkeit an derartigen Äußerungen zu berücksichtigen1. Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert“ verleihen.

Die Darstellung darf keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist2.

Beruht eine mit einer so erheblichen Ehrenkränkung verbundene Behauptung auf einer derart dürftigen Tatsachen- und Recherchegrundlage, wie dies vorliegend der Fall ist, gebietet eine an den verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern beider Seiten ausgerichtete Abwägung der Interessen, die betroffene Person, hier den Betroffenen, nicht unter voller Namensnennung „an den Pranger zu stellen“.

Angesichts der besonderen Tragweite, die die Verbreitung der angegriffenen Äußerungen für den Betroffende erkennbar haben konnte, war der Verleger gehalten, dem Betroffenden die Vorwürfe, die Gegenstand des Beitrags werden sollten, konkret zur Kenntnis zu bringen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme auf ihm beliebige Weise zu geben, ohne ihn auf die Möglichkeit der Erörterung der Vorwürfe in einem persönlichen Gespräch zu beschränken3.

Das Interesse der Medien, den Betroffenen erstmals in einem Interview mit den konkreten Vorwürfen zu konfrontieren, um eine spontane Reaktion des Betroffenen zu erfahren, ist in diesem Zusammenhang nicht schutzwürdig. Es muss vielmehr grundsätzlich dem Betroffenen überlassen bleiben, wie er sich äußern will. Aus diesem Grund ist es auch unerheblich, dass der Betroffene ein persönliches Gespräch mit dem Redakteur abgelehnt hat. Hierin liegt insbesondere kein Verzicht auf die Möglichkeit der Stellungnahme. Die Annahme eines solchen Verzichts nur dann in Betracht, wenn der Betroffene weiß, was ihm konkret vorgeworfen wird.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. Dezember 2013 – VI ZR 211/12

  1. vgl. BGH, Urteile vom 15.12 1987 – VI ZR 35/87, VersR 1988, 405; vom 30.01.1996 – VI ZR 386/94, BGHZ 132, 13, 23 mwN; vom 22.04.2008 – VI ZR 83/07, BGHZ 176, 175 Rn. 35; vom 11.12 2012 – VI ZR 314/10, AfP 2013, 57 Rn. 26, 28 mwN; BVerfGE 114, 339, 353; BVerfG, AfP 2009, 480 Rn. 62; EGMR, Entscheidung vom 04.05.2010 – 38059/07, Effectenspiegel AG gegen Deutschland[]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 07.12 1999 – VI ZR 51/99, BGHZ 143, 199, 203 f. mwN[]
  3. vgl. zur Anhörung des Betroffenen vor der Berichterstattung: BGH, Urteile vom 25.05.1965 – VI ZR 19/64, VersR 1965, 879, 881; vom 15.12 1987 – VI ZR 35/87, VersR 1988, 405; vom 30.01.1996 – VI ZR 386/94, BGHZ 132, 13, 25 f.[]