Verpixelte Bilder aus dem Gerichtssaal
Darf der Vorsitzende einer Strafkammer eine sitzungspolizeiliche Anordnung gegenüber dem anwesenden Bildreporter einer Tageszeitung treffen, wonach Angeklagte, Zeugen und Nebenkläger in einem Strafverfahren nur „verpixelt“ abgebildet werden dürfen? Das Bundesverfassungsgericht sieht hier keinen Grund, mittels einstweiliger Anordnung für Abhilfe zu sorgen:
Die vorliegend bereits erhobene Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Insbesondere kann im derzeitigen Stand des Verfassungsbeschwerdeverfahrens nicht ausgeschlossen werden, dass die Verfassungsbeschwerde gegen die angegriffenen sitzungspolizeilichen Anordnungen Erfolg hat.
Anordnungen des Vorsitzenden nach § 176 GVG, mit denen die Anfertigung von Bildaufnahmen vom Geschehen im Sitzungssaal am Rande der Hauptverhandlung Beschränkungen unterworfen wird, stellen Eingriffe in den Schutzbereich der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Beim Erlass solcher Anordnungen hat der Vorsitzende der Bedeutung der Pressefreiheit Rechnung zu tragen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Bei Anlegung dieses Maßstabes ist die Verfassungsbeschwerde derzeit nicht offensichtlich unbegründet; dies insbesondere da zwei der Angeklagten die Taten bereits gestanden haben und bei ihnen folglich nur noch in eingeschränktem Umfange die Unschuldsvermutung einer Veröffentlichung nichtanonymisierter Bilder entgegengehalten werden kann.
Die danach gebotene Folgenabwägung fällt jedoch zu Gunsten der schutzwürdigen Belange der Angeklagten aus.
Nach den vom anordnenden Vorsitzenden der Strafkammer angegebenen Gründen wäre bei Veröffentlichung und Verbreitung nichtanonymisierter Bilder der Angeklagten zu befürchten, dass die Gewährleistung der Sicherheit der Angeklagten erschwert würde und (infolgedessen) die ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung nicht mehr gewährleistet sei. Diese Aspekte sind verfassungsrechtlich grundsätzlich geeignet, Eingriffe in die Pressefreiheit zu rechtfertigen und wögen, wenn sie zuträfen, auf Seiten der Angeklagten besonders schwer, unabhängig davon, ob diese bereits ein Geständnis abgelegt haben oder nicht. Die Einschätzung des Vorsitzenden ist insofern nicht von der Hand zu weisen. Die vorhandene Gefährdungslage ergibt sich, gestützt auf die Gefahreneinschätzung der Ermittlungsbehörden, aus der unterstellten Art der Tatbeteiligung der Angeklagten und aus Gewalthandlungen und Bedrohungen im Umfeld der Angeklagten. Die Annahme, dass die nichtanonymisierte Bildberichterstattung diese Gefährdungslage verstärken könnte, verliert, falls im Hintergrund der Taten eine größere, international agierende verbrecherische Organisation steht, auch nicht von vornherein dadurch ihre Berechtigung, dass die Angeklagten derzeit inhaftiert sind. Zum einen ist nach derzeitigem Stand nicht einzuschätzen, wie lange die Angeklagten inhaftiert sein werden, zum anderen ist schwer einzuschätzen, inwiefern es einer entsprechenden Organisation möglich wäre, auch inhaftierte Personen zu gefährden, und wieweit die Verbreitung und Veröffentlichung nichtanonymisierter Bilder diese Gefährdung erleichtern würde. Jedenfalls dass die Angeklagten in Folge dieser befürchteten Gefährdung ihrer Sicherheit davon abgehalten werden könnten, weiterhin frei zur Sache auszusagen, ist nachvollziehbar. Gemessen an diesen im derzeitigen Verfahrensstand nicht von vornherein auszuschließenden Gefährdungen überwiegen die zu befürchtenden Nachteile für die Angeklagten die Folgen für die Presseberichterstattung, die sich aus dem Anonymisierungsgebot ergeben. Die angegriffenen sitzungspolizeilichen Anordnungen untersagen die bebilderte Berichterstattung aus dem Sitzungssaal nicht generell, sondern beschränken sie lediglich im Hinblick darauf, dass insbesondere die Angeklagten zu anonymisieren sind. Damit wird dem öffentlichen Informationsinteresse und den Belangen der Pressefreiheit weitgehend Rechnung getragen. Die in dem Anonymisierungsgebot liegende Beschränkung der Berichterstattung wiegt nicht so schwer, als dass sie es rechtfertigte, dass das Gericht eventuell mögliche Verletzungen der aufgezeigten schutzwürdigen Belange der Angeklagten und der Rechtspflege zuzulassen hätte.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20. Dezember 2011 – 1 BvR 3048/11