Die Behauptungen einer Justizministerin über unbequeme Presseberichte – und der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Hannover besteht bei fehlender konkreter Wiederholungsgefahr kein Anspruch auf Unterlassung von Äußerungen einer Ministerin.

Für die Einordnung einer Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Wertung ist der Gesamtzusammenhang entscheidend. Aus diesem kann sich ergeben, dass die Rolle einzelner wertender Elemente so zentral ist, dass die Bedeutung gleichzeitig vermittelter tatsächlicher Elemente zurücktritt.

Die für den öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch erforderliche konkrete Wiederholungsgefahr bemisst sich nach den Umständen des Einzelfalls. Allein die Weigerung, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben, reicht für die Annahme einer Wiederholungsgefahr nicht aus. Eine Wiederholungsgefahr kann ausscheiden, wenn der Themenkomplex der angegriffenen Äußerungen nicht mehr von öffentlichem Interesse ist.

Konkret ging es im vorliegenden Fall um Äußerungen der zuständigen Hannoveraner Justizministerin im Zusammenhang mit der Berichterstattung in der Lokalpresse über die Hausdurchsuchung bei einem seinerzeitigen Bundestagsabgeordneten, deren Unterlassung der betroffene Journalist sowie die Verlegerin der Lokalzeitung begehrten. Das Verwaltungsgericht Hannover wies den Antrag jedoch ab:

Kein Unterlassungsanspruch gegen die Ministerin persönlich

Die Ministerin selbst ist nicht passiv legitimiert. Ein Anspruch auf Unterlassung von Äußerungen, die im Zusammenhang mit der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben stehen, ist nach in der Rechtsprechung übereinstimmend vertretener Ansicht nicht gegen den Beamten persönlich, sondern aufgrund des im öffentlichen Recht geltenden Rechtsträgerprinzips gegen den Hoheitsträger zu richten, dem die Äußerungen seines Amtswalters zugerechnet werden. Mit amtlichen Äußerungen wird die Auffassung der Anstellungskörperschaft rechtlich festgelegt, so dass auch nur diese selbst auf deren Korrektur in Anspruch genommen werden kann. Ausnahmen gelten nur dann, wenn die Äußerung so sehr Ausdruck einer persönlichen Meinung oder Einstellung des Amtsträgers ist, dass das persönliche Gepräge überwiegt und eine Unterlassungserklärung der Anstellungskörperschaft nicht geeignet wäre, der Wiederherstellung der Ehre des Anspruchstellers zu dienen1. Die streitgegenständlichen Äußerungen sind Teil der Beantwortung auf dringliche Anfragen der Oppositionsfraktionen, die die Justizministerin für die Landesregierung und damit in Ausübung ihres Amtes beantwortet hat. Beide Passagen stehen im Kontext mit einer Beschreibung des Verlaufs der Tätigkeit der zuständigen Staatsanwaltschaft, die in die Ressortverantwortlichkeit der Justizministerin fällt. Die streitgegenständlichen Passagen bieten weder isoliert noch im Gesamtzusammenhang Anhaltspunkte dafür, dass die Justizministerin in ihnen eine nur von ihr persönlich und nicht mit ihrem Amt zusammenhängende Auffassung zum Ausdruck gebracht hat.

Passivlegitimation des Landes

Die Passivlegitimation des Landes ergibt sich aus dem Rechtsträgerprinzip in Verbindung mit dem Gemeinsamen Runderlass der Staatskanzlei und sämtlicher Ministerien vom 12.07.20122, geändert durch Runderlass vom 30.01.20143.

Das Erfordernis der konkreten Wiederholungsgefahr

Der in der Rechtsprechung allgemein anerkannte öffentlich-rechtliche Anspruch auf zukünftige Unterlassung einer getätigten Äußerung setzt voraus, dass ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen oder sonstige subjektive Rechte des Betroffenen erfolgt ist und die konkrete Gefahr der Wiederholung droht4.

Der Journalist ist von den angegriffenen Äußerungen betroffen und kann sich auf sein grundrechtlich geschütztes Persönlichkeitsrecht berufen. Die Äußerungen haben für einen Durchschnittsrezipienten erkennbar sein Verhalten während der Durchsuchungsmaßnahme zum Gegenstand. Entgegen der Auffassung der Antragsgegner steht dem nicht entgegen, dass lediglich von „einem Reporter“ die Rede ist. Dieser wird insoweit näher bestimmt, als dass es im Folgenden um ein konkret beschriebenes Verhalten während der Durchsuchung der R. Privatwohnung des Beschuldigten L. am 10.02.2014 geht. Dies reicht aus, um ohne weitere Recherchen die dargestellten Umstände mit seiner Person zu verknüpfen. Er hat mit seinem Artikel am folgenden Tag die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen sowie deren Zielrichtung an die Öffentlichkeit gebracht und den Rücktritt des Abgeordneten in ein neues Licht gerückt. Seine Nachricht wurde im Folgenden von bundesweit erscheinenden Medien aufgegriffen. Als Erstvermittler dieser Informationen, als „Augenzeuge“ der konkreten Durchsuchungsmaßnahme, aber auch als Urheber des zumindest umstrittenen Fotos des Wohnungsinneren hatte er für einige Zeit ein mediales Forum von einiger Bedeutung. Dies zeigt sich beispielsweise an dem mehrminütigen Interview, welches er am 11.02.2014 dem NDR für die Sendung „Hallo Niedersachsen“ gab. Weiterhin belegen dies auch die zahlreichen Verweise auf seine Person und seinen Artikel, die sich in diesem Zusammenhang im Internet finden lassen. Dies reicht nach Ansicht des Verwaltungsgerichts für die Erkennbarkeit aus, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich die streitgegenständlichen Äußerungen vom 27.02.2014 an den niedersächsischen Landtag richteten. Es kann davon ausgegangen werden, dass zumindest die Mehrheit der Landtagsabgeordneten und auch die interessierte Öffentlichkeit trotz der anonymen Nennung auf den Journalisten geschlossen haben.

Ob auch der Verleger, der in den angegriffenen Äußerungen noch nicht einmal anonymisiert auftaucht, in diesem Sinne von den angegriffenen Äußerungen betroffen ist und er sich insoweit auf ein Unternehmenspersönlichkeitsrecht berufen kann5, ist zweifelhaft, kann aber vorliegend dahinstehen, da die weiteren Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs nicht vorliegen.

Es ist zwar nicht von der Hand zu weisen, dass in Teilen der von den Antragstellern angegriffenen Äußerungen bei isolierter Betrachtung eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Journalisten zu sehen sein könnte. Überwiegendes spricht gleichwohl dafür, dass die Äußerungen bei der gebotenen Betrachtung im sprachlichen Kontext eine Wertung darstellen, die jedenfalls nicht schon wegen der darin enthaltenen tatsächlichen Elemente einen Unterlassungsanspruch zu begründen vermag.

Im Hinblick auf die angegriffenen Äußerungen ist eine differenzierte Betrachtungsweise erforderlich. Ob eine Äußerung in unzulässiger Weise Rechte Dritter beeinträchtigt, ist nach ihrem objektiven Sinngehalt zu beurteilen. Es kommt also nicht auf die subjektive Absicht des sich Äußernden oder das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen an. Maßgeblich ist der Sinn, den die Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Empfängers hat. Ausgangspunkt der Deutung ist der Wortlaut der Äußerung, der jedoch deren Sinn nicht abschließend festlegt. Zusätzlich sind der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für die Empfänger erkennbar sind6. Darüber hinaus erstreckt sich die Ermittlung des Aussagegehalts nicht nur auf „offene“ Behauptungen, sondern auch auf die Prüfung ehrkränkender Inhalte, die im Gesamtzusammenhang der offenen Einzelaussagen „versteckt“ bzw. „zwischen den Zeilen“ stehen könnten. Bei der Ermittlung sogenannter verdeckter Aussagen ist zwischen der Mitteilung einzelner Fakten, aus denen der Empfänger eigene Schlüsse ziehen kann und soll, und der erst eigentlich „verdeckten“ Aussage, mit der der Autor durch das Zusammenspiel offener Äußerungen eine zusätzliche Sachaussage macht bzw. sie dem Leser als unabweisliche Schlussfolgerung nahelegt, zu unterscheiden7. Soweit vermeintliche Eindrücke streitgegenständlich sind, ist Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch daher stets, dass eine bestimmte Aussage aus dem Text für den Leser als Eindruck unabweislich folgt. Bei verdeckten Äußerungen ist ein Unterlassungsanspruch mithin nicht schon dann begründet, wenn sich aus den im Text enthaltenen Aussagen mehrere Schlüsse ergeben und ein solcher Schluss in einer nicht fernliegenden Auslegungsvariante das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzen würde. Für die Anwendung der sogenannten „Stolpe-Rechtsprechung“8 ist nur bei Aussagen Raum, die vom maßgeblichen Publikum überhaupt als eine geschlossene, aus sich heraus aussagekräftige Tatsachenbehauptung wahrgenommen werden9. Dies ist jedoch bei nur zwischen den Zeilen zum Ausdruck kommenden Aussagen nicht anzunehmen, wenn sich die Aussage für den Leser nicht geradezu aufdrängt10.

cDiese skizzierten Grundsätze gelten nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Hannover auch für schriftlich niedergelegte verbale Äußerungen. Steht anhand der Auslegung ein Sinngehalt der Äußerung fest, richtet sich die rechtliche Bewertung danach, ob es sich um eine Tatsachenbehauptung oder um eine Meinungsäußerung handelt. Während Letztere in der Regel bis zur Grenze der Schmähkritik oder Formalbeleidigung zulässig sind, müssen jedenfalls unwahre Tatsachenbehauptungen regelmäßig nicht hingenommen werden. Ist die Tatsachenbehauptung in dem konkreten Äußerungszusammenhang geeignet, den Betroffenen in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, liegt die Beweislast für die Wahrheit der Behauptung entsprechend dem Rechtsgedanken des § 186 StGB bei dem sich Äußernden.

Unter Beachtung dieser Prüfungsmaßstäbe und bei der gebotenen Deutung gilt für die streitgegenständlichen Äußerungen Folgendes:

Bei der Äußerung „ein Reporter … sich Zutritt zu dem Grundstück verschafft“ handelt es sich um die Beschreibung eines Verhaltens des Journalisten. Ausgedrückt wird zunächst, dass dieser das in Rede stehende Grundstück betreten hat. Diese Tatsache ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Dem Begriff „Zutritt“, der einzeln als objektive Beschreibung des Betretens eines Bereichs dient, wird durch die Kombination mit dem Verb „verschaffen“ allerdings eine weitere Aussage hinzugefügt. Nach Auffassung der Antragsgegner wird damit zum Ausdruck gebracht, dass sich jemand faktisch unaufgefordert an einen Ort – hier auf ein Grundstück – begeben hat. Die Wendung lässt aber auch die Deutung zu, dass dem Ortswechsel das Überwinden von Hindernissen – denkbar sind physische wie Absperrungen oder psychische wie ein entgegenstehender Wille des Berechtigten – vorausging. Verben wie „eindringen“ oder „einbrechen“ werden auch mit der Wendung „Zutritt verschaffen“ – allerdings jeweils noch um Adverbien wie „unbefugt“ oder „unberechtigt“ ergänzt – umschrieben. Es erscheint durchaus denkbar, dass Teile der Öffentlichkeit assoziativ mehr mit dieser Äußerung verbinden als einen bloßen Ortswechsel ohne vorherige Aufforderung. Möglicherweise klingt für den juristisch nicht vorgebildeten Laien sogar der Tatbestand des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB) an, auch wenn die Begrifflichkeiten dieser Norm („widerrechtlich eindringen“, „ohne Befugnis verweilen“) nicht verwendet werden. Letztgenannte Auslegungsvariante ist daher nicht fernliegend. Bei einer isolierten Betrachtungsweise handelt es sich bei der in Rede stehenden Phrase auch um eine aus sich heraus aussagekräftige Tatsachenbehauptung, so dass unter Zugrundelegung der skizzierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von dieser Deutungsvariante auszugehen wäre.

Im Hinblick auf die Wendung „unerlaubt fotografische Aufnahmen gefertigt“ handelt es sich bei isolierter Betrachtung um eine zulässige Bewertung eines tatsächlichen Vorgangs, nicht jedoch um eine reine Tatsachenbehauptung. Die Einstufung einer Tätigkeit als „unerlaubt“ ist eine Frage der Wertung, die wiederum von den jeweiligen von dem sich Äußernden herangezogenen Werten und Normen abhängt. Es ist damit möglich, dass eine andere Person dasselbe Verhalten nicht als „unerlaubt“ bezeichnen würde. Der Begriff „unerlaubt“ ist somit nicht dem Beweis zugänglich, sondern erkennbar eine wertende Aussage. Der Journalist hat nach eigenen Angaben ohne Einwilligung des Beschuldigten L. dessen Wohnungseingang und durch ein Fenster Teile des Wohnungsinneren fotografiert. Dieser der sprachlichen Wendung zugrundeliegende Tatsachenkern ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Abweichend ist jedoch die an diesen tatsächlichen Vorgang anknüpfende Bewertung. Während die Antragsteller der Ansicht sind, dass es sich um ein „erlaubtes“ Verhalten handele, hat die niedersächsische Justizministerin die gegenteilige Auffassung zum Ausdruck gebracht. Dabei wird ihre Auffassung nicht durch den Deutschen Presserat bestärkt, da dieser mit seiner Rüge vom 13.03.2014 keine Bewertung im Hinblick auf das Anfertigen der Bilder vorgenommen, sondern lediglich die Veröffentlichung des Bildes vom Wohnungsinneren gerügt hat. Soweit die Antragsteller vortragen, dass durch die gewählte Formulierung der nicht zutreffende Eindruck entstünde, dass der Journalist sich über ein bestehendes Fotografierverbot hinweggesetzt habe, müsste dieser Eindruck für den Durchschnittsrezipienten unabweislich sein. Dies ist jedoch nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Hannover zumindest bei isolierter Betrachtung nicht der Fall. Wie oben ausgeführt ist es gerade im Hinblick auf das Verhalten von Medienvertretern nicht unüblich, dass bestimmte Verhaltensweisen kontrovers bewertet werden. Die verschiedenen Ansichten beruhen teilweise auf unterschiedlichen moralisch-sittlichen Vorstellungen oder rechtlichen Bewertungen, nicht jedoch notwendigerweise auf einem konkreten Verbot. Daher musste der verständige Empfänger nicht zwangsläufig von dieser Wendung auf ein Fotografierverbot schließen.

Die sprachliche Formulierung „des Grundstücks verwiesen“ erfasst bei isolierter Betrachtungsweise zunächst nur den tatsächlichen Umstand, dass jemand aktiv zum Verlassen des Grundstücks aufgefordert wurde. Ob diese Tatsachenbehauptung der Wahrheit entspricht, ist zwischen den Beteiligten streitig. Die Justizministerin stützt sich insoweit auf den mündlichen Bericht des vor Ort anwesenden Oberstaatsanwalts, der gegenüber dem Journalist erklärt habe, „er möge sich entfernen“. Der Journalist hat hingegen an Eides statt versichert, dass er weder von diesem noch von einem weiteren Polizeibeamten zum Verlassen des Grundstücks aufgefordert worden sei. Nach dem auch in diesem Zusammenhang geltenden Rechtsgedanken des § 186 StGB müssten die Antragsgegner die Wahrheit ihrer Darstellung des Geschehensablaufs beweisen können. Die Verbreitung unwahrer Tatsachen kann nicht dem öffentlichen Informationsinteresse – als Ausprägung des Rechtsgedankens des § 193 StGB (Wahrnehmung berechtigter Interessen) – dienen und lässt sich durch dieses nicht rechtfertigen. Auch der Umstand, dass der Journalist dem seiner Ansicht nach dem Geäußerten immanenten Sinngehalt („Platzverweis“) öffentlich entgegengetreten ist, berührt seine Schutzwürdigkeit gegenüber nicht erweislich wahren Tatsachenbehauptungen nicht.

Die vollständige Auslegung des Sinngehalts der Äußerung muss jedoch auch deren Kontext, in diesem Fall den unmittelbaren und weiteren Kontext einbeziehen. Betrachtet man zunächst die Aufzählung als solche, beeinflussen die einzelnen Glieder den Sinngehalt der übrigen. So ließe sich mit den Antragstellern vertreten, dass die Kombination der einzelnen Wendung bei dem Empfänger den Eindruck hervorruft, dass der Journalist zunächst ein Zugangs, dann ein Fotografierverbot missachtet hat und in der Folge aufgefordert wurde, das Grundstück zu verlassen. Allerdings neigt das Verwaltungsgericht der Auffassung zu, dass dem Begriff „unerlaubt“ eine Schlüsselrolle für die Auslegung der Äußerung als Ganzes zukommt. Wie oben ausgeführt wird damit eine (rechtliche) Wertung zum Ausdruck gebracht. Dieser Wertungsaspekt strahlt auf die übrigen Glieder der Aufzählung aus und führt dazu, dass auch bei den beiden anderen Äußerungsteilen der Wertungsaspekt im Vordergrund steht. Wie oben gezeigt, lässt sich die Formulierung „Zutritt verschaffen“ ebenso wie die Formulierung „verweisen“ in die Nähe des Tatbestands des Hausfriedensbruchs rücken. Der Journalisten verbindet selbst mit der Formulierung „verweisen“ den Begriff „Platzverweis“, der der im niedersächsischen Ordnungsrecht verwendeten Wendung „Platzverweisung“ nahe steht. Diese Zuordnung ist aber von einem juristischen Laien nicht zu erwarten, so dass die vorgenommene Wertung aus Sicht des Durchschnittsrezipienten auf möglicherweise strafrechtlich relevantes Verhalten hindeutet. Dafür spricht auch, dass jeweils unmittelbar im Anschluss an die streitgegenständlichen Äußerungen von dem gegen den Journalisten eingeleiteten Ermittlungsverfahren die Rede ist. Auch der Umstand, dass die Ausführungen zu dem Verhalten des Journalisten für die Beantwortung der jeweiligen dringlichen Anfrage nicht zwingend waren, stützt diese Sichtweise auf die getätigten Äußerungen. Es ist denkbar, dass die Justizministerin bereits in diesem Zusammenhang Kritik an der Durchführung der Durchsuchungsmaßnahme entgegengetreten wollte, indem sie das Verhalten des Journalisten als von den Ermittlungsbehörden unabhängig darstellte und sich durch die vorgenommene, in erster Linie rechtliche Bewertung von diesem distanzierte. Die Einstufung eines Vorgangs als strafrechtlich relevanten Tatbestand bringt indessen regelmäßig nur die ganz überwiegend auf Wertung beruhende subjektive Beurteilung des Äußernden zum Ausdruck11.

Ob im vorliegenden Fall die normative Wertung so stark im Vordergrund steht, dass die Äußerung insgesamt nicht mehr den Charakter einer Tatsachenbehauptung hat, mit der Folge, dass die Zulässigkeit im Rahmen einer Abwägung der betroffenen grundrechtlich geschützten Positionen (allgemeines Persönlichkeitsrecht, Meinungsfreiheit) zu ermitteln wäre, kann hier letztlich allerdings offen bleiben, weil die Antragsteller die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche konkrete Wiederholungsgefahr nicht glaubhaft gemacht haben. Diese ist im Bereich des öffentlichen Rechts nicht schon dann gegeben, wenn gegenüber den Betroffenen – wie hier – keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben wurde. Maßgeblich sind stattdessen die Umstände des Einzelfalls. Bei deren Bewertung ist die verweigerte Unterlassungserklärung zu berücksichtigen und kann ein Indiz für eine bestehende Wiederholungsgefahr sein12. Danach ist vorliegend nicht ersichtlich, dass die angegriffenen Äußerungen zukünftig wiederholt werden. Die streitgegenständlichen Äußerungen wurden in der Landtagssitzung am 27.02.2014 getätigt. Sie waren Bestandteil der Beantwortung dringlicher Anfragen der Oppositionsfraktionen, die sich mit dem Informationsfluss in den niedersächsischen Behörden bzw. mit dem Verlauf der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen im Fall L. befassten. Dabei waren die Begleitumstände der Durchsuchung der Privatwohnung lediglich ein Detail, das durch die Berichterstattung der Antragsteller für kurze Zeit in den Fokus der Öffentlichkeit rückte. Dies gilt auch für die Bestätigung der Äußerungen am 13.03.2014 anlässlich einer von der CDU-Fraktion beantragten Unterrichtung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen. Diese waren letztlich eine „Spätfolge“ der Äußerungen am 27.02.2014, war der Auslöser für den Antrag der CDU-Fraktion doch der Artikel des Journalisten vom 04.03.2014. Soweit die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen derzeit noch von medialem Interesse sind, richtet sich der Fokus in diesem Zusammenhang jedoch nicht auf die Durchsuchungsmaßnahme vom 10.02.2014 und das Verhalten des Journalisten, sondern auf den Fall L. als solchen, beispielsweise auf die Frage, ob der Beschuldigte L. im Vorfeld gewarnt wurde. Insoweit sind weitere Stellungnahmen, die das Verhalten des Journalisten zum Gegenstand haben, mit dem streitgegenständlichen Inhalt nicht zu erwarten13. Dagegen spricht nicht, dass die Antworten weiterhin auf der Internetseite des Landesjustizministeriums abrufbar sind. Aus der Veröffentlichung geht klar hervor, dass es sich um die Texte der am 27.02.2014 gehaltenen Reden handelt. Mithin haben diese Veröffentlichungen eine rein archivarische Funktion.

Die konkrete Wiederholungsgefahr ergibt sich auch nicht aus dem wohl noch gegen den Journalisten laufenden Ermittlungsverfahren. Es ist nicht ersichtlich, dass sich die Antragsgegner zu diesem Verfahren öffentlich äußern werden.

Verwaltungsgericht Hannover, Beschluss vom 3. Juni 2014 – 1 B 7660/14

  1. BVerwG, Urteil v. 29.01.1987 – 2 C 34.85; Beschluss v. 27.12.1967 – VI B 35.67, DÖV 1968, 429 im Anschluss an BGH, Beschluss v.19.12.1967 – GSZ 1/60; OVG Lüneburg, Beschluss v. 17.12.2009 – 2 ME 313/09, m. w. N.[]
  2. Nds. MBl. Nr. 26/2012, S. 578[]
  3. Nds. MBl. Nr. 6/2014, S. 124[]
  4. BVerwG, Beschluss v. 11.11.2010 – 7 B 54/10[]
  5. vgl. dazu BVerfG, Beschluss v. 08.09.2010 – 1 BvR 1890/08, m. w. N.[]
  6. vgl. BVerfG, Beschluss v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92 und 1 BvR 221/92; BayVGH, Beschluss v. 13.11.2009 – 7 CE 09.2455[]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 22.11.2005 – VI ZR 204/04[]
  8. BVerfG, Beschluss v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98[]
  9. BVerfG, Beschluss v. 08.09.2010 – 1 BvR 1890/08 „Genmilch“[]
  10. LG Köln, Urteil v. 13.02.2013 – 28 O 773/11[]
  11. BGH, Urteil v. 03.02.2009 – VI ZR 36/07[]
  12. OVG NRW, Beschluss v. 26.01.2004 – 12 B 2197/03[]
  13. vgl. zu einer ähnlich gelagerten Situation der Verschiebung des öffentlichen Interesses: Nds. OVG, Beschluss v. 12.07.2014 – 13 ME 112/13[]